Exoskelette sind tragbare Stützstrukturen, die den Körper entlasten und so Schmerzen, Verletzungen und Langzeitschäden vorbeugen. In der Industrie bereits erprobt, drängt sich die Technologie auch für die Pflege auf: Exoskelette könnten die Arbeitsbedingungen verbessern und den Pflegeberuf attraktiver machen, so die Hoffnung. Erste Testläufe im stationären und mobilen Bereich sind gestartet.
Text: Sebastian Deiber
Schmerzen im Rücken- und Nacken-Schulter-Bereich zählen zu den häufigsten Gesundheitsproblemen von Pflegekräften. So sind das Mobilisieren und Umlagern von Patient*innen ‒ oft in unergonomischer Haltung ‒ eine große Belastung für Wirbelsäule und Muskulatur. Auf Dauer kann das zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Beruf führen.
Aus der Industrie in die Pflege
In Zeiten des Pflegekräftemangels sind daher Lösungen gefragt. Eine Technologie, die sich in Industrie, Handwerk und Logistik bereits zu etablieren beginnt, könnte helfen: Exoskelette sind mechanische Stützstrukturen, die direkt am Körper getragen werden. Durch ihre Bauweise können sie Kräfte, die auf ein Körperteil einwirken, abfangen oder ableiten.
Exoskelett ist nicht gleich Exoskelett, weiß Margit Gföhler, Professorin für Funktionelle Biomechanik und Rehabilitationstechnik an der Technischen Universität Wien: "Zum einen gibt es passive Exoskelette. Sie nutzen elastische Bauteile, wie etwa Federn, die einen Teil der Last übernehmen, wenn man zum Beispiel etwas Schweres hebt." Dabei werde das Gewicht auf andere Körperteile verlagert – etwa von der Lendenwirbelsäule auf Beine und Oberkörper. Passiv-Exos bringen also keine zusätzliche Kraft ein. "Das können nur aktive Ausführungen. Diese haben meist einen Elektromotor", erklärt die Maschinenbauingenieurin.
Für Gesundheitsberufe sind die Industrie-Modelle nicht geeignet ‒ sie lassen sich etwa nicht schnell genug an- und ausziehen. Das ist besonders in der mobilen Pflege entscheidend. Zudem sollten die Kraftanzüge leicht zu reinigen sein. Und auch eine wichtige soziale Komponente gäbe es zu bedenken, ergänzt Margit Gföhler: "Sie sollten nicht allzu technisch aussehen oder sonst auffällig sein. Ansonsten könnten sie Unsicherheit auslösen, etwa bei Demenzpatient*innen."
Prototyp-Entwicklung in Oberösterreich, Testlauf in Bayern
Spezialisierte Hersteller versuchen, Exoskelette für den Gesundheitsmarkt zu adaptieren. Erste Produkte und Prototypen werden bereits an verschiedenen Standorten getestet. So konzipiert die Volkshilfe Oberösterreich derzeit ‒ zusammen mit der Firma awb und gefördert vom Pflegetechnologiefonds des Landes ‒ ein Modell für die mobile Pflege. In einer zweijährigen Pilotphase mit 15 Testpersonen wird ein Prototyp entwickelt. Da das Projekt erst im Oktober 2024 angelaufen ist, sind erste Analysen noch abzuwarten, richtet der Projektträger auf Anfrage aus.
In Deutschland sind in der Uniklinik Magdeburg angekaufte Passiv-Exos bereits seit 2023 im Pilot-Einsatz. Im Test gaben die meisten Befragten die Schulnote "gut". Nachteilig war die hygienische Anforderung, über dem Gerät einen Kittel zu tragen. Der Stückpreis liege "im unteren vierstelligen Bereich", sagte ein Mitarbeiter zum Magazin "kma". Vergangenes Jahr startete ein Testlauf der Romed-Kliniken Rosenheim mit einem aktiven Exoskelett der Robotik-Firma German Bionic. Es wurde in enger Kollaboration mit der Geriatrie der Berliner Charité entwickelt. Per Elektromotor entlastet es den Rücken bei Hebebewegungen um bis zu 36 Kilogramm. Erste Rückmeldungen sind positiv: Das schmutz- und spritzwassergeschützte Gerät ist bequem, erleichtert Mobilisationen, die sonst zwei Pflegekräfte erfordern, und stabilisiert das Arbeiten in vorgebeugter Haltung. Zum Einsatz kommen zunächst zehn Stück zu je 15 000€ ‒ für weitere gibt es noch keine Finanzierung.
Langzeitbeobachtungen fehlen
Ein alltagstaugliches Exoskelett zu entwickeln ist eine technische Herausforderung: Jedes Modell müsse optimal auf die Pflegeaufgaben abgestimmt sein, erklärt Margit Gföhler, besonders bei täglicher Anwendung: "Die Apparatur muss das Skelett-Muskel-System gleichmäßig unterstützen. Denn kommt es zu einer asymmetrischen Belastung, sind möglicherweise Muskelverkürzungen oder Verletzungen die Folge." Es gäbe noch kaum Langzeitbeobachtungen, wie Exos das Skelett-Muskel-System beeinflussen, so die Expertin. "Man muss also sorgfältig evaluieren." Lösen Exoskelette ihr Potenzial ein, werden sie Pflegekräften schon bald den Rücken stärken ‒ damit diese ihren Beruf länger gesund ausüben können.
Quellen: Interview mit Margit Gföhler,; Pressemeldungen der Romed Kliniken Rosenheim, der Universitätsmedizin Magdeburg und des Landes Oberösterreich
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