Melanie Wolfers
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Die Sehnsucht als unser innerer Kompass

Personen & Porträts

Mit „Atlas der unbegangenen Wege" hat Melanie Wolfers, gemeinsam mit Co-Autor Andreas Knapp, soeben einen Wegbegleiter für persönliche Transformationsprozesse veröffentlicht.

 Interview: Birgit Kofler

Ihr aktuelles, soeben erschienene Buch „Atlas der unbegangenen Wege“ beschäftigt sich mit Veränderungsprozessen. Wie kam es, dass Sie sich für dieses Thema entschieden haben?

Melanie Wolfers: Ich berate und begleite Menschen als Mentorin. Manche spüren, dass etwas vorbei ist, oder dass in ihnen noch mehr steckt, als sie bislang leben. Es drängt sie, etwas zu verändern, aber sie trauen sich nicht so recht. Andere sind mitten im Umbruch und wollen den nicht einfach nur bewältigen, sondern ihn als Chance gestalten. In allem stellt sich die Frage: Wie kann ich mein Leben so führen, dass es immer mehr meines wird; stimmig und lebendig ist? Das Buch gibt eine Landkarte an die Hand für diese wichtigste Reise im Leben, für die Reise zu sich selbst.

Sie lassen eigene, persönliche große Veränderungs- und Transformationsprozesse ins Buch einfließen. Wie geht es Ihnen selbst mit dem Begehen unbegangener Wege?

Melanie Wolfers: Grundsätzlich ist es ein Riesenunterschied, ob man freiwillig neue Wege einschlägt, oder ob sie einem von außen aufgezwungen sind, etwa durch eine schwere Erkrankung oder massiv veränderte Umstände. Ich kenne den Zauber des Neuanfangs genauso wie Zweifel, Unsicherheit und Scheitern. Und ich habe schon oft das dankbare Gefühl erfahren, angekommen zu sein. Nicht zuletzt sind mir die Umbruchsphasen von innen her vertraut, weil ich ein Mensch bin, der sehr intensiv lebt und gern auf Neues zugeht.

Der inneren Ruf nach Veränderung wird oft mit dem Neubeginn nach einer Krise gleichgesetzt. Ist das tatsächlich der Hauptgrund?

Melanie Wolfers: Ich würde dem nicht zustimmen. Natürlich sind Krisen ein wesentlicher Auslöser für Neuaufbrüche, aber nicht der einzige. Meiner 25-jährigen Erfahrung in der Begleitung junger Menschen zwischen 20 und 35 Jahren zufolge geht es bei Veränderung oft um die Frage, worauf es ihnen wirklich ankommt – beruflich wie auch in der Lebensweise. Neuaufbrüche haben auch viel damit zu tun, dass Menschen spüren: Da lockt mich etwas. Sicher kann eine Krise der Auslöser sein, etwa das Gefühl, ich muss weg von hier, weil ich sonst kaputt gehe. Ein anderer, ebenso wichtiger Anlass ist aber, dass mich etwas anzieht: Werte oder der Drang, die eigenen Potenziale zu verwirklichen. Oder es geht um den Übergang in eine neue Lebensphase – der Auszug von zu Hause, Eltern werden, die Kinder gehen aus dem Haus. Das sind alles Phasen, in denen man sich neu orientieren muss.

Buchcover: Wolfers/Knapp, Atlas der unbegangenen Wege 2025
(c) bene! Verlag

Das Pilgern taucht als zentrales Bild in Ihrem Buch auf. Was macht diese Metapher für Sie so aussagekräftig?

Melanie Wolfers: Ich bin selbst eine leidenschaftliche Pilgerin und habe viele Pilgerwege für Gruppen angeleitet. Das Pilgern ist für Menschen oft hilfreich, um im Unterwegssein auch Umwandlungsschritte zu gehen, im Schreiten auch innerlich weiterzukommen. Die Pilgermetapher ist eine wunderbare Metapher für einen Wandlungsweg. Die Etappen des Pilgerns entsprechen dem inneren Ablauf eines Entwicklungsprozesses mit drei Phasen: Aufbruch – die Sehnsucht oder Notwendigkeit zu gehen. Dann das Unterwegssein und schließlich die Rückkehr, wenn sich ein neuer, veränderter Alltag etabliert.

Was sind die entscheidendsten Faktoren, damit diese Etappen gelingen können?

Melanie Wolfers: Das ist je nach Etappen etwas unterschiedlich. Was sich aber durchzieht, ist die Fähigkeit und Bereitschaft, regelmäßig innezuhalten – die Kunst der Selbstwahrnehmung. Was bewegt mich? Wonach sehne ich mich? Welche Ängste und Widerstände spüre ich? Die Fähigkeit, für sich selber gute Prioritäten zu setzen, die der eigenen Person und der Situation entsprechen.

Sie zitieren im Buch Dorothee Sölle: „Es muss doch mehr als alles geben.“ Wie erkennt man dieses „Mehr"?

Melanie Wolfers: Entscheidend ist die Fähigkeit, in sich hineinzuhören. Manchmal sind es Begegnungen oder andere Auslöser von außen, die eine Resonanz hervorrufen und ich merke: Das wünsche ich mir aus einer echten Tiefe meines Herzens. Ein anderer Grund kann ein tiefes Unbehagen sein, dass man das Leben satthat, sich leer fühlt. Wir kennen das alle: Man sitzt mit Freunden beim Kaffee und sagt: „Eigentlich passt eh so, wie ich lebe, aber ...“ Dieses „eigentlich“ ist verräterisch, weil es uns sagt: „Ich brauche auch noch etwas anderes." Da muss man genau hinhören.

Sie schreiben über innere Widerstände und „Aber-Geister“, die sich der Veränderung entgegenstellen. Was raten Sie Menschen, die spüren, dass eine Veränderung ansteht, aber vor dem ersten Schritt zurückschrecken?

Melanie Wolfers: Eines ist ganz wichtig zu verstehen: Wenn es nicht schwierig wird, sind wir gar nicht richtig aufgebrochen, haben die Komfortzone noch nicht verlassen. Wenn du innere Widerstände oder Aber-Geister spürst – herzlichen Glückwunsch zur Bewusstwerdung! Das ist völlig normal und gesund. Drei Dinge helfen dabei, trotzdem loszugehen: Erinnere dich an gelungene Anfänge. An damalige Ängste und was dich befähigt hat, dennoch das Wagnis des Neuen einzugehen. Zweitens: Suche dir Menschen, die dich unterstützen, aber auch den Mut zu kritischen Fragen haben. Und drittens: Mut bedeutet nicht Angstfreiheit, sondern dass du etwas wagst trotz und mit deiner Angst. Der Mut zum Aufbrechen und Durchhalten lebt von einem Ja zu etwas Größerem.

Porträtbild Melanie Wolfers

Entscheidend ist die Fähigkeit, in sich hineinzuhören.

Dr.in Melanie Wolfers

Autorin von "Atlas der unbegangenen Wege"

Hilft der Glaube in solchen Umbruchsphasen?

Melanie Wolfers: Viele Untersuchungen zeigen, dass ein spirituelles Leben hilft, Vertrauen zu fassen. Glauben bedeutet ja nicht primär, etwas für wahr zu halten, sondern in erster Linie Vertrauen. Vertrauen darauf, dass es einen guten Grund gibt, der mich trägt, auch wenn der Boden unter den Füßen wackelt. Dass ich nie tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Und was auch hilft, das ist ein wichtiger Faktor in vielen Religionen: Die Wertschätzung der Sehnsucht. Die christliche Spiritualität sieht die Sehnsucht als göttliche Kraft, die uns wie ein innerer Kompass den Weg zu einem tieferen Leben weisen möchte.

Und Menschen, die nicht religiös sind, nicht gläubig sind: Wo können die bezüglich Vertrauen andocken?

Melanie Wolfers: Da kommen wir wieder zur Kultur des Innehaltens. Nur wenn wir innehalten, können wir aus einem inneren Halt heraus das eigene Leben gestalten, in einer wachen Beziehung zum Leben stehen. Dazu gehört etwa, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, z.B. einmal wöchentlich alleine spazieren zu gehen, ohne Ablenkung. Wenn ich wirklich in Kontakt bin mit dem Jetzt – die Sonne auf der Haut spüre, den Wind in den Haaren, den Geruch des Waldbodens – dann komme ich in die Gegenwart. Das verbindet mich mit dem Leben und gibt mir Kraft, sodass ich spüre: Ich bin nicht einfach nur ins Leben geworfen, sondern auch vom Leben getragen. Mir schenkt sich auch vieles. Und mit dieser Kultur der Achtsamkeit auch in Krisen doch zu versuchen, das Gute, Helle zu sehen, das stärkt das Vertrauen in das Leben.

Sie sind Ordensfrau. Aber auch Bestsellerautorin, gefragte Speakerin, Podcasterin, TV-Moderatorin, medial sehr präsent. Viele haben vermutlich ein anderes Bild einer Ordensfrau.

Melanie Wolfers: Speakerin, Podcasts oder Fernsehen – nichts davon habe ich aktiv angestrebt. Die Türen haben sich geöffnet, die Wege geebnet, weil Menschen auf mich zugekommen sind. Was die Bücher betrifft, so habe ich immer dann geschrieben, wenn mir ein Thema unter den Nägeln gebrannt hat. Ich habe schon einen Drang, hilfreiche Inhalte unter die Menschen zu bringen. Ich bin eine vielfältige Mutmacherin, möchte Menschen ermutigen, ihr Leben zu gestalten, ihre Größe zu leben, sich in der Welt zu engagieren. Das passt zu unserer Spiritualität bei den Salvatorianerinnen – die Frage nach dem Gelingen des Lebens und nach Gott in der Gesellschaft wachzuhalten. Das versuche ich zu tun.

Woher nehmen Sie die Kraft und Energie für so viele Aktivitäten?

Melanie Wolfers: Zum einen ist mir viel Energie geschenkt. Und ich achte sehr auf meine Lebensquellen: regelmäßig Sport, Musik, Natur, Freundschaften, Zeit für Meditation und stille Wochenenden ohne Handy und Internet. Das persönliche und gemeinschaftliche spirituelle Leben ist mir ganz wichtig, daraus schöpfe ich jeden Tag. Das sind Dinge, die mir dabei helfen, dass ein Stückchen mehr Energie durch mich durchfließen kann.

Im Buch gibt es viele Reflexionshilfen in Form von sogenannten „Journalen“, in denen man wichtige Fragen an sich selbst beantworten soll. Eine davon möchte ich abschließend an Sie stellen: „Wofür bin ich bereit, mich einzusetzen, selbst wenn ich scheitern sollte“ – Wofür sind Sie bereit…?

Melanie Wolfers: Mein Lebensmotto lautet, und dabei möchte ich auch andere unterstützen und mich dafür einsetzen - selbst, wenn ich scheitern sollte: Folge deinem Ruf und deiner wahren Größe. Und verschenke dich an die Welt.

 Titelfoto: Ulrik Hölzel

Buchtipp

Melanie Wolfers & Andreas Knapp: Atlas der unbegangenen Wege. Eine Reise zu dir selbst, März 2025. Verlag: bene!, 224 Seiten, ISBN: 978-3-96340-323-1

Terminhinweise

Am 7. März 2025 spricht Melanie Wolfers beim Frauentag der Oberösterreichischen Nachrichten in Linz über ihr neues Buch, am 19. März 2025 in der Buchhandlung Herder in Wien. Mehr Informationen und alle aktuellen Termine: https://melaniewolfers.de

Zur Person

Dr.in Melanie Wolfers studierte Theologie und Philosophie in Freiburg und München, wo sie auch lehrte. 2004 trat die Seelsorgerin, Expertin für Lebensfragen und Spiritualität und Beraterin in den Salvatorianerinnen-Orden in Österreich ein. Sie ist Bestseller-Autorin, Rednerin, betreibt den Podcast „GANZ SCHÖN MUTIG“ – dein Podcast für ein erfülltes Leben, und moderiert die Talksendung „Die letzte Bank“ in der ZDF-Mediathek.

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