Ein KI-Algorithmus ermöglicht jetzt eine genauere Bestimmung des Schlaganfall-Zeitpunkts als bisherige Methoden. Ein internationales Forschungsteam konnte nachweisen, dass die Software doppelt so präzise arbeitet wie medizinisches Fachpersonal. Für Kliniken könnte dies Behandlungsentscheidungen in der Notfallversorgung effektiv unterstützen.
Text: Birgit Kofler
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Imperial College London, der Universität Edinburgh und der Technischen Universität München (TUM) hat einen KI-Algorithmus entwickelt, der den Zeitpunkt eines Schlaganfalls präziser bestimmen kann als medizinisches Fachpersonal. Diese Innovation könnte die Behandlungsentscheidungen in der Notfallversorgung verbessern.
Die zeitliche Komponente ist bei der Schlaganfallbehandlung entscheidend: Innerhalb der ersten viereinhalb Stunden können medikamentöse Interventionen den Schaden effektiv begrenzen, chirurgische Eingriffe sind bis zu sechs Stunden nach dem Ereignis noch erfolgversprechend. Eine spätere Intervention birgt sogar das Risiko zusätzlicher Schäden.
Die neue KI-Lösung wurde an einem umfangreichen Datensatz von 800 Gehirnscans trainiert und anschließend an fast 2.000 weiteren Patient*innenfällen validiert. Das Ergebnis: Die Software arbeitet bei der Zeitbestimmung doppelt so präzise wie menschliche Expert*innen.
Bisher stützt sich das Krankenhauspersonal bei der Zeitbestimmung hauptsächlich auf CT-Scans: Je dunkler die betroffene Region erscheint, desto länger liegt der Schlaganfall zurück. Diese Einschätzung wird durch die einzigartige Struktur jedes Gehirns erschwert. Auch wenn der ungefähre Beginn bekannt ist, können individueller Blutfluss oder Blutgefäßstruktur dazu führen, dass die Schäden schneller oder langsamer voranschreiten.
Prof. Daniel Rückert von der TUM erklärt den Erfolg des neuen, KI-gestützten Systems: „Wir vermuten, dass unser Modell so leistungsstark ist, weil es nicht nur bewertet, wie dunkel die geschädigte Region ist, sondern auch zusätzliche Informationen aus den Scans in Betracht zieht – etwa die Textur des Gehirns und Variationen innerhalb der geschädigten Partien."
Die praktischen Auswirkungen könnten erheblich sein. „Unsere Software kann Ärztinnen und Ärzten im Notfall helfen, Entscheidungen zu treffen, welche Behandlungsschritte bei Schlaganfällen durchgeführt werden sollen“, betont Studienleiter Paul Bentley vom Imperial College London: „Sie ist nicht nur doppelt so genau wie das gängige Verfahren, sie kann auch vollständig automatisiert ausgeführt werden, sobald der CT-Scan auf dem Bildschirm erscheint.“
Erstautor Adam Marcus schätzt, dass durch die neue Software bei bis zu 50 Prozent der Schlaganfallpatient*innen die Behandlung optimiert werden könnte. Dies wäre ein erheblicher Fortschritt in der Schlaganfallversorgung, besonders angesichts der Herausforderungen bei der Zeitbestimmung, etwa wenn Schlaganfälle im Schlaf auftreten oder Kommunikationsschwierigkeiten bestehen.
Der Algorithmus überzeugt der aktuellen Studie zufolge auch bei der Bestimmung des „biologischen Alters“ einer Hirnschädigung – ein wichtiger Indikator für die Reversibilität der Schädigung und damit für die Behandlungsplanung.
Quellen: Marcus, A., Mair, G., Chen, L. et al. Deep learning biomarker of chronometric and biological ischemic stroke lesion age from unenhanced CT. npj Digit. Med. 7, 338 (2024). doi.org/10.1038/s41746-024-01325-z; Pressemitteilung der Technischen Universität München, Paul Hellmich Corporate Communications Center
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