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Nanoplastik beeinträchtigt die Wirkung von Antibiotika

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Eine neue Studie weist auf die unterschätzte Gefahr der kleinen Plastikteilchen hin. Sie könnten auch für Resistenzen verantwortlich sein und andere Medikamente beeinflussen.

Text: Karin Lehner

Wasser aus Plastikflaschen enthält Nanoplastik, ebenso der Abrieb von Autoreifen. Und damit mikroskopisch kleine Teilchen, die in der Natur ein immer größer werdendes Problem darstellen. Selbst in der Antarktis und auf dem Mount Everest sind sie längst zu detektieren. Auch die Atemluft enthält kleiner als 0,001 Millimeter winzige Nanoplastik-Partikel. Aufgrund ihrer geringen Größe sind sie für Mensch und Umwelt besonders bedenklich, weil sie über den Riechkolben der Nase ständig eingeatmet werden. Von hier reisen sie in das Gehirn, aber auch in Magen sowie Darm. Und interagieren mit Zellen wie Medikamenten.

Lukas Kenner, als Pathologe und Krebsforscher der MedUni Wien einer der führenden Expert*innen auf dem Gebiet, warnt eindringlich vor der Gesundheitsgefahr: „In Innenräumen atmen wir ständig Mikroplastik ein, noch dazu in einer fünfmal höheren Dosis als im Freien.“ Es ist in oft Sportkleidung, Teppichen, Couchbezügen, Wandfarben, Bettdecken und Polstern enthalten.

50 Prozent Wirkungsverlust bei Tetrazyklin

Kann es sein, fragten sich Kenner und sein Team, dass ein Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit von Medikamenten und Nanoplastikteilchen besteht? Forschungsgegenstand war das Breitband-antibiotikum Tetracyclin. Es wird gegen bakterielle Infektionen von Atemwegen, Haut und Darm eingesetzt. Bei den Kunststoffen fiel die Wahl auf die Verpackungsmaterialbestandteile Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) und Polystyrol (PS) sowie Nylon 6,6 (N66). Letzteres ist in vielen Textilien wie Strümpfen oder Vorhängen enthalten.

Mithilfe komplexer Computermodelle und mit AI-Unterstützung wies das Team erstmals nach: „Nanoplastikpartikel binden Tetracyclin, nehmen es teilweise sogar auf und geben es wieder ab“, erklärt Kenner. „Auf diese Weise können sie die Wirksamkeit des Antibiotikums beeinträchtigen.“ Besonders stark war die Bindung bei Nylon 6,6. „Tetracyclin verliert dadurch 50 Prozent seiner Wirksamkeit.“ Weil Tests am Menschen unethisch wären, wurden zusätzlich In-Vitro-Experimente an Tetracyclin-empfindlichen Zelllinien durchgeführt. Sie bilden genetische Schalter ab und zeigten ebenfalls, dass die biologische Aktivität des Antibiotikums in Gegenwart von Polystyrol-Partikeln deutlich abnimmt.

Nanoplastik als neues Pathogen?

Die Studie zeigt außerdem, dass die Wechselwirkung von Mikro- sowie Nanokunststoffen und Arzneimitteln die Aufnahme Letzterer verändern dürfte und den Arzneimitteltransport an neue Orte im Körper erleichtern könnten. „Besonders besorgniserregend ist unsere Erkenntnis, dass die lokale Konzentration von Antibiotika an der Oberfläche der Nanoplastikpartikel ansteigen kann“, resümiert Kenner. „Besonders Nylon und Polysterol könnten damit zur Entstehung antibiotikaresistenter Bakterien führen.“ Denn Letztere nehmen wie Zellen Plastikpartikel auf.

Für Kenner ist Nanoplastik damit möglicherweise „ein neues Pathogen“. „Es ist nicht nur ein Gesundheitsrisiko, sondern kann indirekt auch die Therapie von Erkrankungen negativ beeinflussen.“ Weil Nanoplastik die Wirksamkeit von Antibiotika reduziert, wird die richtige Dosierung zum großen Problem. Die Ergebnisse würden „zu denken geben“ und führen zu weiteren Forschungs-fragen: Wie sieht die Interaktion mit anderen Medikamenten aus, beispielsweise gegen Krebs? Damit wollen sich Kenner und sein Team in naher Zukunft beschäftigen.

Weg vom Plastik in Spitälern

Für den Klinikalltag haben die neuen Erkenntnisse hohe Bedeutung. Von der Matratze im Patient*innen-Bett über periphere Venenkatheter bis zur Einmalkleidung für medizinisches Personal wird Kunststoff verwendet. Laut Kenner braucht es hier „ein neues Bewusstsein für eine bessere Qualität und nachhaltigere Materialien“.

Während in den USA die Gefahr von Mikro- und Nanoplastik noch weitgehend ignoriert wird, gibt es in Europa bereits ein Problembewusstsein. Weil die Forschungsgelder bislang minimal waren, startete die EU gerade einen Aufruf in punkto Nanoplastikforschung. Für Kenner muss jedoch auch in eine andere Richtung investiert werden. „Aufgrund steigender Resistenzen müsste der Staat massiv in die Antibiotika-Forschung investieren, denn für die Pharmaindustrie sind die Margen hier zu gering.“

Foto: Meduni Wien

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