Eine neuartige Neuroprothese könnte für Menschen mit diabetischer Neuropathie den medizinischen Durchbruch bedeuten. Das von Wiener Forschern mitentwickelte System stellt mit gezielten elektrischen Impulsen die gestörte Nervenleitung in den Füßen wieder her. Erste Tests zeigen vielversprechende Ergebnisse.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Stanisa Raspopovic, Professor für Biomedizinische Technik an der Medizinischen Universität Wien, hat eine innovartive Entwicklung für die Therapie der diabetischen Neuropathie vorgestellt. Die als „NeuroStep“ bezeichnete nicht-invasive Neuroprothese könnte die Behandlung dieser schwerwiegenden Diabetes-Folgeerkrankung nachhaltig verändern.
Weitverbreitete Folge von Diabetes
Eine Konsequenz der diabetischen Neuropathie, von der bis zu 50 Prozent aller Diabetes-Patient*innen betroffen sind, ist der fortschreitende Verlust des Empfindungsvermögens in den Füßen. Die Folgen sind für Betroffene höchst belastend: chronische Schmerzen, Ulzera und in schwerwiegenden Fällen Amputationen. Während bisherige Therapieansätze auf Symptomlinderung abzielten, soll die neue Entwicklung das Problem an der Wurzel angehen.
„Bei früheren Forschungen über den möglichen Einsatz dieser Methode bei Neuropathien wurden die elektrischen Impulse an verschiedenen Stellen und mit unterschiedlichen Konfigurationen appliziert, bis schließlich die optimale Stelle auf Knöchelhöhe gefunden wurde“, erläutert Stanisa Raspopovic den Entwicklungsprozess.
Intelligentes System mit Echtzeitsteuerung
Das System, das äußerlich einer herkömmlichen Socke ähnelt, nutzt integrierte Elektroden zur gezielten elektrischen Nervenstimulation. Besonders wichtig ist dabei der personalisierte Ansatz: Ein spezielles Kalibrierungsverfahren passt die Stimulation an den individuellen Grad der Nervenschädigung an. Die Technologie arbeitet in Echtzeit und bietet den Patient*innen während des Gehens ein direktes sensorisches Feedback.
Erste Tests zeigen Erfolg
In einer aktuellen Studie, die im Journal Nature Communications publiziert wurde, konnten bereits nach eintägiger Anwendung signifikante Verbesserungen nachgewiesen werden. Die 14 Testpersonen berichteten von verbessertem Empfindungsvermögen, besserer Bewegungskoordination und reduziertem Schmerzempfinden. Die subjektiven Verbesserungen wurden durch objektive Messungen bestätigt. Besonders interessant: Magnetresonanztomographien zeigten, dass das Gehirn das wiederhergestellte Gefühlsempfinden ähnlich wie natürliche Sinnesreize verarbeitet.
„Unsere Studienergebnisse geben Anlass zur Hoffnung, dass mit Hilfe von ‚NeuroStep‘ nicht nur die Lebensqualität der Patient*innen gesteigert, sondern auch ein Teufelskreis durchbrochen werden kann“, betont Studienleiter Raspopovic. Er verweist dabei auf die problematische Verbindung zwischen eingeschränkter Mobilität und der Verschlechterung des diabetischen Krankheitsverlaufs.
Weitere Studien in Vorbereitung
Bevor das System in der klinischen Praxis eingesetzt werden kann, sind weitere Untersuchungen erforderlich. Das Forschungsteam arbeitet bereits an einer Folgestudie zur Langzeitanwendung der Neuroprothese und deren Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf.
Quellen: Pressemitteilung der MedUni Wien; Originalarbeit: Noemi Gozzi, Lauren Chee, et al. Wearable non-invasive neuroprosthesis for targeted sensory restoration in neuropathy. Nature Communications https://doi.org/10.1038/s41467-024-55152-7
Foto: ETH Zürich