Die Rekrutierung von Pflegekräften aus Drittstaaten ist für Österreichs Gesundheitseinrichtungen mittlerweile unverzichtbar. Hans-Georg Hausmann erklärt die wichtigsten Schritte, von der Auswahl von Kandidat*innen bis zur Integration.
Text: Birgit Kofler
Im Wiener Gesundheitsverbund arbeiten laut Personalbericht 2023 Menschen aus rund 100 verschiedenen Nationen. In den Einrichtungen der Vinzenz Gruppe kommt das Personal – quer durch alle Berufsgruppen – aus 78 unterschiedlichen Ländern. Multikulturelle Teams im Spitalsbetrieb, und insbesondere im Pflegedienst, werden künftig in ganz Österreich zunehmend zum Alltag gehören. Denn der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften wächst stetig – und lässt sich nicht mehr allein im Inland decken. Zusätzliche Strategien sind erforderlich.
„Die Rekrutierung von gut ausgebildetem Pflegepersonal aus Drittstaaten wird für unser Gesundheitswesen unverzichtbar, auch wenn sie nicht die Hauptlösung für den Personalbedarf sein kann“, erklärt DGKP Hans-Georg Hausmann, PM.ME. Der Trainer für Ethikberatung im Gesundheitswesen sowie Koordinator für interkulturelle Integration am Ordensklinikum Linz zitiert Zahlen, die diese Einschätzung klar untermauern. Laut Pflegepersonalbedarfsprognose der Gesundheit Österreich GmbH werden hierzulande bis 2050 rund 200.000 Pflege- und Betreuungskräfte fehlen. Bereits jetzt haben laut einer Analyse des Österreichischen Integrationsfonds etwa elf Prozent aller Pflegekräfte in Österreich ihre Ausbildung im Ausland erworben, davon acht Prozent in der EU und drei Prozent in Drittstaaten.
Die Gründe für die Lücke zwischen steigendem Bedarf und abnehmendem Angebot von Spezialist*innen aus dem Pflegebereich sind vielschichtig. „Wir werden eine massiv steigende Nachfrage an Gesundheits- und Pflegeleistungen haben, allein durch die demographische Entwicklung", erläutert Hans-Georg Hausmann. Gleichzeitig gehen bevölkerungsstarke Kohorten in Pension und der Anteil junger Menschen, die sich für Pflegeberufe entscheiden, bleibe bestenfalls konstant. Eine Entwicklung, die sich durch Informations- und Mobilisierungskampagnen nicht ausreichend beeinflussen lasse. Auch Automatisierungsprozesse würden in der qualifizierten Pflege an natürliche Grenzen stoßen, so der Experte. Zusätzliche Rekrutierungspfade seien daher unumgänglich. In anderen EU-Staaten Pflegepersonal anzuwerben – was in Bezug auf die Anerkennung der Ausbildungen Vieles vereinfachen würde - ist aus Sicht des Experten unrealistisch. „Die Industrienationen weltweit haben alle genau das gleiche Problem,“ konstatiert Hausmann. „Mit Ausnahme von Sondersituationen wie Pendler*innen im grenznahen Bereich, die im Nachbarland bessere Bedingungen vorfinden, wird dieser Pool wenig hergeben.“
Das Ordensklinikum Linz stellt sich dieser Herausforderung bereits sehr systematisch. Mit dem Ziel, bis 2030 etwa 200 Pflegekräfte aus Drittstaaten zu integrieren, setzt die Einrichtung auf einen langfristigen Ansatz. Dieser Zielwert entspricht einem Anteil von etwa 20 Prozent zugewanderten Kolleg*innen von außerhalb der EU – eine Quote, die Experte Hausmann als durchaus realistischen Richtwert für viele österreichische Einrichtungen sieht.
Die Auswahl der Herkunftsländer folgt klaren Kriterien: Die Ausbildung muss dem österreichischen akademischen Niveau entsprechen – ein Bachelor in Pflege ist also Mindestvoraussetzung. Zudem gibt es seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO auch Vorgaben, aus welchen Ländern rekrutiert werden darf – und aus welchen nicht. „Aus ethischer Sicht ist es nicht akzeptabel, Pflegekräfte aus Ländern abzuziehen, die dort selbst dringend benötigt werden", erläutert Hans-Georg Hausmann.
Für das Ordensklinikum Linz sind die Hauptherkunftsländer für neue Pflegekolleg*innen derzeit Tunesien, Kolumbien und Südafrika. Andere Träger oder Bundesländer setzen auf andere Gegenden der Welt. So haben etwa im Vorjahr das Land Burgenland und die Diözesen Eisenstadt und Kanjirapally in Kerala ein Abkommen unterzeichnet, um ausgebildete Pflegekräfte aus Indien ins Land zu holen.
Die systematische Rekrutierung von großen Gruppen von Pflegekräften aus Drittstaaten ist in Österreich ein noch vergleichsweise junges Phänomen. Bis vor Kurzem gab es dafür noch keinerlei strukturierte Rahmenbedingungen. Inzwischen entwickeln immer mehr Träger – und trägerübergreifend auch einzelne Bundesländer – professionelle Prozesse für diesen Zweck. Oberösterreich nimmt hier eine Vorreiterrolle ein: Hier wurde bereits im Vorjahr ein standardisierter Prozess aufgesetzt, der von der Anwerbung bis zur Integration der neuen Mitarbeiter*innen in der Pflege reicht. Eine Task-Force, in der die Spitalsträger, Fachhochschulen und das Land vertreten sind, soll dabei unterstützen, „Synergien zu schaffen“, wie Hausmann erläutert. Diese konzertierten Bemühungen haben dazu beigetragen, diesen Prozess zu optimieren.
Aus Sicht der Träger wäre eine möglichst gute Koordination auf der jeweils zuständigen Ebene wünschenswert, so Hans-Georg Hausmann. „Auf Bundesebene betrifft das die Rot-Weiß-Rot-Karte als Voraussetzung für Einreise und Arbeitsgenehmigung und die Anerkennung der Gleichwertigkeit durch die Fachhochschulen, die hier als Bundesverwaltung tätig werden“, sagt der Experten. „Hier sind bereits in jüngster Zeit Verbesserungen gelungen. Zum Beispiel beginnt die zweijährige Frist der rot-Weiß-Rot-Karte erst mit der Einreise zu laufen und nicht schon lange vorher, bei Bescheid-Erteilung. Damit ist viel gewonnen.“
Es gebe durchaus noch Luft nach oben, was eine Beschleunigung der Prozesse und eine Vereinfachung bürokratischer Hürden betrifft, auch auf Eben der Bundesländer. Doch es sei auch ein realistischer und behutsamer Zugang wichtig, meint Hausmann. Würden zu rasch zu viele internationale Kräfte rekrutiert, würde das auch die Aufnahmefähigkeit der bestehenden Teams überlasten und überfordern, meint Hausmann. „Man muss diesen Weg bedacht beschreiten und begleitend Strukturen und Rahmenbedingungen schaffen, die funktionieren.“
Der Prozess beginnt bereits im Heimatland der rekrutierten Pflegekräfte und erstreckt sich über mehrere Jahre. Die Kandidat*innen müssen zunächst in einer geeigneten Einrichtung vor Ort mindestens eineinhalb Jahre Deutsch lernen, um das für die Einreise erforderliche B1-Niveau zu erreichen. Parallel dazu läuft ein aufwendiges Dokumentenmanagement: Zeugnisse müssen übersetzt und beglaubigt werden, Strafregisterauszüge und andere behördliche Dokumente sind erforderlich.
Die Erfahrung zeige, dass ein strukturiertes Onboarding entscheidend für eine erfolgreiche Integration der neuen Kolleg*innen ist. Sie gleich voll auf den Stationen einzusetzen habe sich nicht bewährt, berichtet Hans-Georg Hausmann.
Das Ordensklinikum Linz hat ein mehrphasiges Modell entwickelt. Nach der Einreise sind zunächst rund zwei Wochen der Erledigung behördlicher Anforderungen wie Fingerprints, Rot-Weiß-Rot-Karte, Bankkonto, Strafregisterauszug und Berufsregistrierung gewidmet. Danach beginnt eine zehnwöchige Einführungsphase mit intensiver sprachlicher und fachlicher Begleitung, in der auch der Umgang mit dem neuen kulturellen Umfeld eine wichtige Rolle spielt. Wobei die sprachliche Integration eine besondere Herausforderung darstellen kann. „Die zugezogenen Kolleg*innen lernen im Heimatland ‚deutsches Hochdeutsch.‘ Bei uns werden sie dann mit ‚österreichischem Deutsch‘ und regionalen Dialekten konfrontiert", so Hausmann. Da seien zu Beginn Verständnisschwierigkeiten oft kaum vermeidbar. „Solche Prozesse brauchen Zeit, Energie und Know-how, da darf auch die Betreuung der bestehenden Teams, die neue Kolleg*innen integrieren müssen, nicht zu kurz kommen. Die müssen wir im Projekt an Bord haben, sonst kann es nicht funktionieren.“
Parallel zur Einarbeitung – zunächst natürlich in einer Assistenzfunktion – müssen die Pflegekräfte die behördlich jeweils vorgeschriebenen Ergänzungsmaßnahmen an einer Fachhochschule absolvieren – meist bewege sich das etwa im Bereich 15 ECTS-Punkte, was mehreren hundert Stunden Ausbildung entspricht, weiß Hausmann. „Von der Einreise bis zur Anerkennung und Einsatzfähigkeit als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegekraft vergehen so etwa eineinhalb Jahre", erläutert der Experte.
Die Fluktuation bei den aus Drittstaaten rekrutierten Diplompflegekräften liegt im Ordensklinikum Linz derzeit bei etwa 15 Prozent – das ist etwas höher als bei österreichischen Pflegekräften, aber niedriger als gedacht. Als besonders kritisch erweise sich die Zeit nach etwa drei Monaten, sagt Hausmann. „Da kommt oft eine Phase der Ernüchterung. Die Umstellung auf eine neue Kultur, ein anderes Gesundheitswesen mit fremden Tätigkeitsfeldern und ein anderes Arbeitstempo fordert durchaus ihren Tribut.
Für einen nachhaltigen Erfolg der Rekrutierungsbemühungen ist die Integration der Familien entscheidend. „Eine dauerhafte Integration kann nur gelingen, wenn die Partner*innen und Kinder nachkommen können“, betont Hans-Georg Hausmann. „Die Menschen wollen hier dauerhaft Fuß fassen, auch weil sie häufig in ihren Herkunftsländern keine Perspektive sehen. Die müssen wir bieten.“ Viele Einrichtungen, darunter das Ordensklinikum Linz, unterstützen zugewanderte Pflegkräfte aktiv bei der Familienzusammenführung und Wohnungssuche.
Ethische Aspekte der Rekrutierung sind nicht nur entscheidend, wenn es um die Auswahl der Zielregionen geht, sondern auch im Umgang mit den individuellen Personen. „Wir bringen ja keine Güter oder Objekte nach Österreich, sondern Menschen mit Bedürfnissen, Sorgen, Wünschen, Träumen. Damit muss sorgsam umgegangen werden, zum Beispiel indem keine Versprechungen gemacht werden, die nicht eingehalten werden können. Dieses Erwartungsmanagement müssen wir bereits vor Ort mit den Agenturen leisten“, weiß Hans-Georg Hausmann. „Da geht es um eine realistische Sicht auf Dinge wie Arbeitsumfeld, Teamkultur, Anforderungen und vieles mehr.“ Ein anderer Punkt in diesem Zusammenhang: Den Pflegekräften dürfen in diesem Prozess keine Kosten entstehen – auch, um keine Abhängigkeiten zu schaffen. Die Aufwendungen für Sprachkurse, Übersetzungen, Visum und Transfer werden von den Einrichtungen übernommen. Diesen ethischen Rekrutierungsansatz müssen natürlich auch die Vermittlungsagenturen leben.
„Wir müssen sicher noch mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass die Rekrutierung von internationalen Pflegekräften zwar unverzichtbar für unsere Versorgung ist, aber auch ein schwieriger und langwieriger Prozess, der gerne unterschätzt wird. Das alles braucht viel Zeit, viel Empathie und Engagement, es gibt keine schnellen Lösungen und Ergebnisse“, betont Hans-Georg Hausmann
Titelbild: Hans Georg Hausmann, (c) Ordensklinikum Linz