ÖVP, SPÖ und Neos präsentieren das Regieungsprogramm (c) Heinz-Peter Bader/AP/picturedesk.com
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Regierungsprogramm: Ausbau des niedergelassenen Bereichs

Gesundheitspolitik

Das neue Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und NEOS setzt im Gesundheitsbereich auf den Ausbau der niedergelassenen Versorgung, Digitalisierung und eine Stärkung der Pflegeberufe.

Text: Birgit Kofler

„Jetzt das Richtige tun. Für Österreich." Unter diesem Motto steht das neue Regierungsprogramm, das die Verhandlungsführer*innen von ÖVP, SPÖ und NEOS im Parlament vorgestellt haben. Gerade einmal acht der insgesamt 210 Seiten sind gesundheitspolitischen Vorhaben gewidmet, für die als Ziel formuliert ist: „Das Pensions- und Gesundheitssystem muss fit für die demografischen Herausforderungen gemacht werden, damit sich auch künftige Generationen darauf verlassen können."

„Im Grundsatz werden zentrale Herausforderungen angesprochen“, sagt Ökonomin Maria M. Hofmarcher-Holzhacker von HealthSystemIntelligence in einer ersten Analyse des Regierungsprogramms. „Auch sind jährliche Offensivmaßnahmen in der Höhe von 85 Millionen Euro für 2026 vorgesehen, mit einer – unter Budgetvorbehalt – geplanten Erhöhung auf 120 Millionen Euro im Jahr 2027 Mio. Davon sind 50 Millionen Euro für einen Innovationsfonds zum beschleunigten Ausbau der ambulanten Versorgung zur Entlastung der Krankenanstalten.“ Das Programm lasse allerdings den Kontext zu den finanziellen Maßnahmen im aktuellen Finanzausgleich vermissen, bemängelt die Expertin. Insgesamt sind das immerhin etwa eine Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich für das Gesundheitswesen.

Porträt Maria Hofmarcher (c) Caio Kauffmann
(c) Caio Kauffmann

Maria Hofmarcher

Niedergelassener Bereich als Schwerpunkt

Ein zentraler Fokus des Papiers liegt auf dem Ausbau des niedergelassenen und ambulanten Versorgungsangebots sowie der Verkürzung von Wartezeiten. Die künftige Koalition will „verbindliche, qualitätsgesicherte Versorgungspfade nach bundeseinheitlichen Standards", um eine rasche Versorgung zu garantieren.

Die Einführung von Gesundheitslotsinnen und Gesundheitslotsen soll geprüft werden. Im niedergelassenen Bereich will die künftige Regierung multidisziplinäre Facharztzentren fördern - „stets unter Einbeziehung aller Gesundheitsberufe". Bedarfsorientiert ausgebaut werden sollen spezialisierte Versorgungszentren für chronische Erkrankungen, die psychosoziale Versorgung sowie Expertisezentren für seltene Erkrankungen.

Auch Erstversorgungsambulanzen sollen ausgebaut werden, um Krankenhäuser zu entlasten. Gemeinschaftspraxen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe sollen zur Entlastung ärztlicher Praxen beitragen. Um die Rahmenbedingungen für die ärztliche Berufsausübung attraktiver zu gestalten, setzt die künftige Regierung auf „Innovation im Vertragswesen, etwa durch Abschluss eines neuen einheitlichen Leistungskatalogs und eines darauf aufbauenden Gesamtvertrags mit einer modernen Leistungsabgeltung".

Den Fokus auf den Ausbau der Versorgung außerhalb der Krankenanstalten halte sie grundsätzlich für richtig und für einen wichtigen Bereich des Programms, sagt Maria M. Hofmarcher-Holzhacker. „Allerdings bleibt offen, wie die Umstrukturierung der Krankenanstalten erfolgen soll – Stichwort: hohe Bettendichte, Ambulantisierung der Spitalsversorgung“, so die Expertin. „Damit in Zusammenhang wird sehr vage auf die schwache Kooperation zwischen Bundesländern und der sozialen Krankenversicherung eingegangen. Die Straffung der Steuerung in diesen Bereichen wäre der Schlüssel, um die Konsolidierung und Umstrukturierung qualitätsvoll, patient*innenorientiert und kostenschonend voranzutreiben.“

Fach*ärztinnen: Ausbildungsverpflichtung für Spitäler

Für nicht-ärztliche Gesundheitsberufe wird neben Dienstplanstabilität eine „Entbürokratisierung" durch Digitalisierung angestrebt. Nicht näher definierte „Kompetenzverschiebungen" sollen „Freiraum für Kernaufgaben" schaffen. Ein neues Sanitätergesetz soll zur Professionalisierung und Modernisierung des Berufs „unter Beibehaltung des Freiwilligen-Systems" beitragen.

Im Bereich der Mediziner*innenausbildung will die künftige Regierung eine „freiwillige Verpflichtung zur Arbeit im solidarischen Gesundheitssystem" durch einen Bonus beim Auswahlverfahren attraktiver machen. Soziale Kompetenzen sollen beim MedAT-Test stärkere Berücksichtigung finden. Eine österreichweite Bedarfsstudie soll die Grundlage bilden, um Ausbildungsstellen im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) zu verankern. Eine Ausbildungsverpflichtung für fondsfinanzierte Spitäler ist vorgesehen, das Ärztegesetz und die Ärzteausbildungs-Verordnung sollen insbesondere im Hinblick auf Allgemeinmedizin und Mangelfächer überarbeitet werden.

Wahlärzt*innen „versorgungswirksamer“ machen

Wahlärzt*innen sollen nach den Vorstellungen der Regierungsverhandler einen „fairen Beitrag" zum öffentlichen Gesundheitssystem leisten und im Notfall „in einem gewissen Ausmaß" Patient*innen zu Kassenkonditionen behandeln.

Das Regierungsprogramm betont die Weiterentwicklung von Prävention und Gesundheitskompetenz. Frühversorgungs- und Früherkennungsprogramme sowie Impfangebote sollen ausgebaut werden. Alle im nationalen Impfprogramm empfohlenen Impfungen sollen nach wissenschaftlicher Priorisierung kostenlos angeboten werden.

Der Ansatz, bestehende Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme besser zu vernetzten, sei richtig, betont Hofmarcher-Holzhacker. „Allerdings wäre es erforderlich, eine gesamtstaatlich Präventionsstrategie zu entwickeln. Zumindest jedoch wird darauf geachtet, dass präventive Aspekte auch in anderen Kapiteln als dem zum Thema Gesundheit mitberücksichtigt sind“, so die Ökonomin. Ein Beispiel dafür: das Vorhaben von mehr gesundheitsfördernder Mobilität für Jugendliche.

Ein spezielles „Kindergesundheitspaket" sieht den Ausbau der Sachleistungsversorgung im medizinischen Bereich vor. Der Eltern-Kind-Pass soll zu einem umfassenden Gesundheitsförderungsinstrument für Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr umgestaltet werden.

Digitalisierung und Arzneimittelversorgung

Im Bereich der Digitalisierung plant die neue Regierung einen „Ausbau und die Modernisierung von ELGA" als Datenplattform. Die Diagnosecodierung soll verpflichtend umgesetzt werden. Ein tragfähiges Patienten-Summary soll in ELGA geschaffen und das Gesundheitstelematikgesetz neu gestaltet werden. Der Impfpass soll künftig als App-Lösung verfügbar sein.

Zur Stärkung des Pharma- und Gesundheitsstandorts soll eine Life-Sciences-Strategie erarbeitet werden. Die Rezeptgebührenobergrenze will die Koalition zu einer „Arzneikostenobergrenze" weiterentwickeln. Das Bewertungsboard soll laufend wissenschaftlich begleitet werden. Die ökonomische Verschreibweise durch alle Verordner*innen soll forciert werden. Bei Polypharmazie-Patient*innen ist eine verpflichtende Gesamtmedikationsanalyse vor der Krankenhausentlassung vorgesehen.

Die vorgesehenen Maßnahmen zur Stärkung des Pharmastandortes sei, so Ökonomin Hofmarcher-Holzhacker, „wirtschaftspolitisch sinnvoll, und die Erarbeitung einer Life Science Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der in Österreich tätigen Industrie zukunftsorientiert. Dadurch wird die Wertschöpfungskraft des Gesundheitswesen gesteigert, und es wird dadurch zu einem zentralen Sektor für Innovation und Wachstum in der Zukunft.“

Für Selbsthilfe- und Patientenorganisationen soll ein Rahmen zur Professionalisierung geschaffen werden. Ihre Unabhängigkeit will die Koalition durch steuerfinanzierte Finanzierungsfonds sicherstellen.

Im Bereich der Sozialversicherung soll die Reform von 2018 evaluiert werden. Beim Dachverband ist eine eigene trägerunabhängige Selbstverwaltung geplant.

Langzeitpflege und Fachkräfteoffensive

Die Schnittstelle zwischen Langzeitpflege und stationärer Versorgung sowie das Entlassungsmanagement will die künftige Regierung verbessern. Das Regierungsprogramm enthält zudem ein Bekenntnis zum „Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung", allerdings ohne weitere Konkretisierungen.

Für eine verbesserte Langzeitpflege soll eine bundesweite Pflege- und Betreuungsstrategie erarbeitet werden. Die unterschiedlichen Systeme der Pflegeservicestellen sollen im Sinne eines „One-Stop-Shops" vereinheitlicht werden.

Für Community Nurses werden Entwicklungskonzepte erarbeitet, die einen einheitlichen Aufgabenbereich und die Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen umfassen. Unter dem Motto „Daheim vor stationär" sollen pflegende Angehörige entlastet und die mobile und teilstationäre Pflege ausgebaut werden. Das Pflegegeld will die Koalition in Richtung der ambulanten Pflege evaluieren und weiterentwickeln.

Zur Bewältigung des Fachkräftemangels setzt die künftige Regierung auf eine „gezielte Anwerbung von Pflegekräften". Die Abwicklung der Rot-Weiß-Rot-Card soll beschleunigt und Nostrifizierungsverfahren sollen vereinfacht werden. Das inländische Fachkräftepotential soll durch Rückholaktionen mit attraktiven Angeboten ausgeschöpft werden.

Strategie zur Optimierung des Mitteleinsatzes fehlt

Das Programm lege zwar ein klares Bekenntnis zum Ausbau der Versorgung und zur Aufrechterhaltung eines niederschwelligen und ausgewogenen Zugangs zu Gesundheitsleistungen ab. Was dem Kapitel „Gesundheit und Pflege“ allerdings fehle, bedauert Maria M. Hofmarcher-Holzhacker, sei eine strategisch orientierte Übersicht, wie der Mitteleinsatz grundsätzlich verbessert werden kann. Dazu gäbe es drei Ansätze, sagt die Expertin. „Die erste Möglichkeit, die Kostenanstiege zu mildern, besteht darin, den Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen zu verringern. Gesunde Menschen nehmen weniger medizinische Leistungen in Anspruch als weniger gesunde Menschen.“ Dies werde zwar durch das Ziel, bis 2035 die gesunde Lebenserwartung um fünf Jahre zu erhöhen, im Regierungsprogramm angesprochen. Hofmarcher-Holzhacker: „Dieses Ziel scheint mir überambitioniert.“

Eine zweite Möglichkeit, die Ausgaben sinnvoll zu senken, bestehe laut Expertin darin, nicht mehr als nötig für Behandlungen im Gesundheitswesen zu bezahlen. „Klassische Beispiele sind Markenarzneimittel, Digitalisierung und KI. Auch hier gibt es einige Ansätze im Programm.“ Eine dritte Möglichkeit der Ausgabesenkung bestehe darin, teureres Personal und teurere Behandlungsorte zu ersetzen. „Wir sprechen hier etwa von ambulanten Operationen statt stationärer Eingriffe, wenn dies möglich ist. Oder vom Einsatz von Pflegepersonen und Arzthelfer*innen, wenn sie Ärzt*innen klinisch ersetzen können. Ein anderes Beispiel ist der Einsatz preiswerterer Medikamente, wenn diese verfügbar und ebenso wirksam sind“, sagt Hofmarcher-Holzhacker. „Auch in diesem Zusammenhang finden sich Ansätze im Programm. Jedoch leider sehr fragmentiert, so wie das System es selbst ist.“

Titelfoto: Heinz-Peter Bader/AP/picturedesk.com

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