Mittels Stammzellen-Therapie können Knie- und Hüft-OPs hinausgezögert werden. Ein Ersatz für Prothesen sind körpereigene Substanzen wie MSCs derzeit aber nicht.
Text: Karin Lehner
Gelenke erhalten statt ersetzen, lautet das Credo von OA Dr. Markus Neubauer. Der Facharzt für Orthopädie und Traumatologie forscht am Universitätsklinikum Krems zu Stammzellen in punkto Therapie von verletzten oder abgenutzten Gelenken. Parallel zur klinischen Tätigkeit ist er am Zentrum für regenerative Medizin an der Donauuniversität Krems tätig. „Wir betreiben hier Grundlagenforschung mit Fokus auf Anwendungen, eine innovative Kombination.“ Denn Stammzellen können Entzündungen hemmen und das Zellwachstum fördern.
Wobei die Schwierigkeiten beim medizinischen Trendthema schon beim Begriff beginnen. „Wir arbeiten mit MSCs (mesenchymal stem cells), also mesenchymalen Stammzellen, die der Körper selbst besitzt“, erklärt Neubauer. Der Begriff Stammzelle wird in der Scientific Community für die Zellgattung allerdings immer weniger verwendet. „Arnold Caplan, der Erstbeschreiber der MSCs, verfasste vor einigen Jahren einen Artikel, in dem er dafür plädiert, den Begriff Stammzellen nicht mehr zu benutzen. Im engeren Sinn beziehen sie sich nämlich meist auf embryonale.“
MSCs haben Potenzial für die Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats. Kein neuer Ansatz, aber ein derzeit vieldiskutierter, durch den Fokus auf die regenerative Orthopädie. Sie unterstützt die Fähigkeit des Körpers, Knochen, Gelenke, Muskeln, Bänder und Sehnen mit körpereigenen Substanzen selber zu heilen, zum Beispiel MSCs. Neubauer ist „zurückhaltend optimistisch“, was ihren künftigen Einsatz betrifft, aber nicht blauäugig. „Sie sind kein Ersatz für künstliche Implantate für geschädigte Knie- oder Hüftgelenke aufgrund eines degenerativen Knorpelgewebes“, so der Orthopäde. „Für das Frühstadium der Arthrose gibt es aber erste Hinweise, dass MSCs durch eine Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung dazu beitragen könnten, notwendige Operationen hinauszuzögern.“
Noch ist der Einsatz von Stammzellen eine rechtliche Grauzone. Die Forschung ist weiter als der Gesetzgeber.
Prim. Priv.-Doz. DDr. Christian Albrecht
Österreich blickt in der Orthopädie auf eine lange Tradition zurück. Ein neu gedachter Ansatz sind orthobiologische Therapieverfahren. Dabei wird die beginnende Arthrose in ausgewählten Fällen mit körpereigenen Seren behandelt, beispielsweise MSCs. „Sie können die degenerative Gelenkserkrankung zwar nicht heilen, aber dabei helfen, Symptome zu verbessern.“ Doch Datenlage und Evidenz sind derzeit noch dünn. Daher ist die MSC-Therapie noch lange nicht Standard. In Krems wird sie pro Jahr mehrfach im Rahmen der Behandlung von Knorpeldefekten durchgeführt.
Gewonnen werden MSCs hauptsächlich aus dem Fettgewebe von Patient*innen oder dem Knochenmark aus dem Beckenkamm, unter Schmerzmitteln im OP mittels Stanznadel-Aspiration. „Aber auch im Aspirat findet sich nur eine sehr geringe Zellzahl an MSCs“, weiß Neubauer. Dennoch kann es bei Defekten im Knorpel beispielsweise sinnvoll sein, eine Hyaluronsäure-Matrix in Kombination mit Knochenmarks-Aspiraten inklusive MSCs zu verwenden. Ziel sei die Regeneration des Gewebes. „MSCs haben die Fähigkeit, sich in Knorpelgewebe zu verwandeln.“ Sichtbar wird der Therapieerfolg im Magnetresonanztomographen.
MSCs haben die Fähigkeit, sich in Knorpelgewebe zu verwandeln.
OA Dr. Markus Neubauer
Für einen breiteren Einsatz von Stammzellen braucht es aber noch mehr Forschung und neue gesetzliche Rahmenbedingungen, in der EU wie in Österreich. Darauf verweist Prim. Priv.-Doz. DDr. Christian Albrecht, MBA, Vorstand der I. Orthopädischen Abteilung des Orthopädischen Spitals Speising. „Spritzen ins Knie mit körpereigenen Substanzen, beispielsweise aus dem Blut, werden derzeit oft als Stammzellen-Therapie bezeichnet, obwohl sie es streng genommen nicht sind“, erklärt der Orthopäde. „Und Stammzellen aus dem Fettgewebe dürfen laut dem Gesetzgeber nur in Letzteres unterhalb der Kniescheibe gespritzt werden. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, müssten sie jedoch eigentlich in das Gelenk injiziert werden.“ Freilich könne niemand kontrollieren, wo die Injektion tatsächlich lande. „Eine rechtliche Grauzone.“ So wie die Entnahme von echten Stammzellen aus der Nabelschnur bei der Geburt für das Einfrieren von Zellen. „Derzeit herrscht Verwirrung, was überhaupt damit gemacht werden darf.“
Albrecht plädiert für eine rasche Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen, „das wäre sehr wünschenswert“. Grundlage für neue Leitlinien sollte die wissenschaftliche Evidenz in punkto körpereigener Substanzen sein. Für eine EU-weite Studie wurden aus der Nase Knorpel mit Stammzellen entnommen und im Knie implantiert, mit Erfolg. „Hier stimmt die Datenbasis bereits“, weiß Albrecht. Bereits in Erforschung sei auch der Nutzen von Stammzellen für diverse andere Organe des Körpers, zum Beispiel das Herz. „Die Forschung ist derzeit weiter als der Gesetzgeber.“
Titelbild: Christian Albrecht, © Orthopädisches Spital Speising/Wandaller; Porträtbilder: Christian Albrecht © Interfoto; Markus Neubauer © privat