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Gesundheit
Österreich
09.02.2021

"Das gehört den Entscheidern ins Stammbuch geschrieben!"

Klar definierte, standardisierte Vorgehensweisen zählen für den Nonprofit-Management-Experten Michael Meyer zu den vordringlichsten Lehren aus der Corona-Pandemie.

Mit dem Gesundheits- und Sozialsystem im Spannungsfeld von Corona haben sich ACADEMIA SUPERIOR, Vinzenz Gruppe und elisabethinen linz-wien in einer gemeinsamen Workshop-Reihe auseinandergesetzt. Sie haben diesen Arbeitsprozess moderiert – wie lautet Ihr Fazit?

Michael Meyer: An den insgesamt vier Workshops im Herbst 2020 nahmen exponierte Persönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Institutionen teil, mit entsprechend unterschiedlichen Blickwinkeln.  Das machte es sehr spannend. Gemeinsam war allen die Intention, im Zusammenwirken herauszuarbeiten, was sich aus den Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie für die Zukunft mitnehmen lässt. Wobei die Erfahrungen zu diesem Zeitpunkt die erste Welle betrafen und wir die Hoffnung hatten, dass es nicht noch schlimmer kommen würde. Man hat deutlich gespürt, dass es allen ein Bedürfnis war, sich gerade in Krisenzeiten nicht einfach hilflos treiben zu lassen, sondern mit anderen zu überlegen: Was lernen wir daraus?

Und wie lauten die Schlussfolgerungen?

Letztlich wurden acht zentrale Befunde zu strukturellen Aspekten des Gesundheits- und Sozialwesens formuliert: 

  • Kooperation braucht einen Rahmen und gegenseitiges Vertrauen
  • Digitalisierung begünstigt die Kommunikation
  • Digitalisierung und telemedizinische Gesundheitsdienstleistungen schaffen Flexibilität
  • Einheitliche Spielregeln, Richtlinien und Standards verhindern Konflikte
  • Gemeinwohlorientierung ist das Fundament für Vertrauen und Kooperation
  • Das österreichische Gesundheitssystem genießt hohes Vertrauen, Transparenz erhält es auch im Krisenmodus
  • Zur Stärkung der Gesundheitskompetenz sind Bildungssystem und Medienöffentlichkeit gefordert
  • Ein unsicherer Krisenalltag braucht Standard Operating Procedures

 

Bleiben diese Befunde nicht doch eher im Allgemeinen?

Zu jedem Befund hat man auch konkrete Empfehlungen erarbeitet, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mehrheitlich geteilt werden. Diesem Konsens gingen intensive Diskussionen voraus. Die Ergebnisse des Projekts sind also durchaus repräsentativ, zumal die Beteiligten durchwegs Entscheidungsträger sind. Die Empfehlungen haben Qualität und zeigen Verbesserungspotenziale auf. Wären sie bereits umgesetzt, stünden wir in mancher Hinsicht besser da. 

"Das dickste Brett ist in dieser Hinsicht aber wohl die Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung durch Bildungssystem und Medien, das wird länger dauern."

Welche Befunde beziehungsweise Empfehlungen sollten Priorität haben?

Manche Punkte haben zweifellos einen längerfristigen Zeithorizont und sind nicht von heute auf morgen umzusetzen. Das betrifft etwa Maßnahmen, um das gegenseitige Vertrauen der Akteure im Gesundheits- und Sozialwesen zu stärken. Mitten in der Pandemie ist das kaum zu machen, aber wir sollten nach der Pandemie daraus gelernt haben. Ähnliches gilt für die Digitalisierung. Sie hat durch die aktuelle Situation einen Schub erhalten, der zuvor kaum vorstellbar war. Wir haben viel dazugelernt in der Frage, was digital geht – und auch, was digital nicht geht. Wir sollten jedoch aufpassen, dass bei diesem Thema das Pendel nach der Corona-Pandemie nicht wieder voll zurückschlägt. Das dickste Brett ist in dieser Hinsicht aber wohl die Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung durch Bildungssystem und Medien, das wird länger dauern. Auch Medienkompetenz ist ja bis heute kein Pflichtfach in der Schule, obwohl seit den 1970er Jahren davon gesprochen wird. 

Was ließe sich schneller umsetzen?

Sogenannte Standard Operation Procedures zu etablieren, das heißt: ganz klare Anweisungen, wenn definierte Risikofaktoren zutreffen. So etwas kennt man aus der Luftfahrt, die Vorgangsweise ist aber auch jedem Skitourengeher vertraut: Wenn ein Hang bestimmte Voraussetzungen aufweist, kann ich hineinfahren – wenn nicht, dann nicht. Es wäre auch in der aktuellen Pandemie noch möglich, sich auf drei oder vier Kennzahlen zu einigen und diese mit genau festgelegten Maßnahmen zu koppeln nach dem Motto: Wenn diese Zahl so und so ist, dann erfolgt genau das und das. Das hat man bisher leider nicht gemacht, obwohl es klare Orientierung geben würde. Die Corona-Ampel wäre ein Schritt in diese Richtung gewesen, aber die ist ja sehr schnell zusammengebrochen. Auch Empfehlungen zur Informationspolitik bei unsicheren Datenlagen sollte man den Entscheidern ins Stammbuch schreiben. Wenn in jeder ZiB 2 ständig neue, wechselnde Experten zu Wort kommen und sich dabei teilweise widersprechen, hebt das nicht unbedingt das Vertrauen der Bevölkerung. Wichtig wäre ein konstantes Expertenteam. Da ist es fatal, dass der Oberste Sanitätsrat derzeit nicht besetzt ist.

Wo sehen Sie positive Ansätze im Spannungsfeld Corona?

Die Kooperation der Trägerorganisationen im Gesundheits- und Sozialsystem hat grosso modo gut funktioniert. Von Beginn der Krise an wurde zusammengeholfen, und das ist bis heute so geblieben. Die Vielfalt der Träger mit ihren unterschiedlichen Stärken stärkt die Resilienz des gesamten Systems. Die Bereitschaft zur Kooperation hat sich auch bei unserer Workshop-Reihe gezeigt: Fast alle, die eingeladen waren, haben mitgemacht, es gab kaum Absagen. Es macht schließlich auch Sinn für alle beteiligten Organisationen.

Was werden die Befunde und Empfehlungen bewirken?

Ich hoffe, dass sie entsprechende Resonanz finden werden. Die Initiative dazu geht schließlich von zwei großen Krankenhausbetreibern und dem Think Tank eines wichtigen Bundeslandes aus – das ist ja nicht irgendwer.

Interview: Josef Haslinger

 

Michael Meyer, Univ.-Prof.

Leiter des Institutes für Nonprofi-Management an der Wirtschaftsuniversität Wien

Michael Meyer forscht und lehrt seit mehr als 20 Jahren an der Wirtschaftsuniversität Wien. Heute leitet er dort das Institut für Nonprofit-Management sowie das Kompetenzzentrum für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship. Der Sozial- und Wirtschaftswissenschafter befasst sich unter anderem mit zivilgesellschaftlichen Themen, der Ökonomisierung von NPO sowie Diskurs- und Organisationsanalyse. Er hat mehr als 150 wissenschaftliche Publikationen verfasst und mehrfach Forschungsaufenthalte an der Stanford University absolviert.

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