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Gesundheit
Österreich
23.01.2024

„Community Nursing ist eine spürbare Entlastung für das Gesundheitssystem“

Seit 2022 wurden 116 von der EU geförderte Community-Nurse-Pilotprojekte in ausgewählten österreichischen Gemeinden umgesetzt. Eine davon ist Attnang-Puchheim. Zur Halbzeit des anberaumten Projektzeitraums zieht die hier tätige Community Nurse Christine Brandner Zwischenbilanz. 

„Es war eine dynamische Zeit“, beschreibt Christine Brandner die Anfänge des Community-Nurse-Pilotprojekts in Attnang-Puchheim. Hier hat sie den Stützpunkt für ein Gesundheitsangebot etabliert, das 2022 durch die Finanzierung der Europäischen Kommission im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans gestartet werden konnte. Damals wurde 123 heimischen Gemeinden für den Projektzeitraum bis Ende 2024 Community Nursing bewilligt, 116 davon sind bis dato aktiv. In Österreich ist dieses in anderen Ländern schon lange bewährte Konzept neu. „Die hierzulande im Zuge des Pilotprojekts eingesetzten Community Nurses sind diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen“, erklärt Brandner. „Sie stehen der Bevölkerung als niederschwellige, wohnortnahe und bedarfsorientierte Ansprechpartner*innen rund um Gesundheits-, Pflege-, Präventions- und Alltagsbewältigungsfragen zur Verfügung.“ 

Dabei haben sie insbesondere die Gesundheitskompetenz von älteren sowie von pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen im Blick. Das Ziel: die Förderung gesunder und selbstbestimmter Lebensjahre im Alter, verbunden mit einem so lange wie möglichen Verbleib in den eigenen vier Wänden. „Einerseits stellt der demografische Wandel unser Gesundheitssystem vor große Herausforderungen“, verdeutlicht Brandner. „Eine schnelle Aufnahme in Pflegeeinrichtungen ist längst nicht mehr so reibungslos organisierbar wie früher.“ Andererseits entspreche es dem Wunsch der meisten Senior*innen, so lange wie möglich zu Hause zu leben. „Wir Community Nurses stehen ihnen dabei mit Rat und Tat und vor allem einem klaren Fokus auf Prophylaxe zur Seite. Zugleich entlastet ein längerer Erhalt der Selbstständigkeit den stationären Bereich.“ 

Durchstarten mit Information und Vernetzung

Auf nationaler Ebene verantwortet das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz(BMSGPK) die Pilotprojekte, die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) koordiniert das Ganze und unterstützt die Umsetzungspartner*innen, sprich die Gemeinden oder auch beteiligte Trägerorganisationen. In der Stadtgemeinde Attnang-Puchheim hat der Sozialhilfeverband Vöcklabruck die Umsetzung übernommen. Brandner ging im November 2022 in Vollzeit als Community Nurse an den Start. Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit INGO über den Status quo war etwas mehr als die Hälfte des Projektzeitraums verstrichen. „Zunächst kam es darauf an, mich und das neue Angebot bekannt zu machen“, blickt sie zurück. „Daher habe ich als Erstes sehr viel Energie in Informationsvermittlung und Netzwerkaufbau gesteckt.“ Sie kontaktierte Gemeinde- und Regionalmedien, stellte sich den Gemeindeinstanzen vor und bemühte sich um eine nachhaltige Kommunikation mit ihnen. „Dadurch sind die Anfragen nach Hausbesuchen bereits im zweiten Monat intensiv angelaufen.“

Hausbesuche sind eine wesentliche Säule des Community Nursing. Allerdings ist dies nicht mit mobiler Pflege zu verwechseln. Community Nurses kommen ins Haus, um den individuellen Bedarf von Menschen zu erheben und sie in ihrer jeweiligen Lebenslage zu beraten. Sie helfen ihnen bei der Versorgungsplanung und gegebenenfalls bei der Organisation erforderlicher Leistungen. Ihren Aufklärungsauftrag erfüllen Community Nurses aber auch durch Veranstaltungen zu Gesundheitsthemen. „Nach einer Auftaktveranstaltung gemeinsam mit dem Bürgermeister und dem Bezirkshauptmann bin ich mit einem ersten Workshop gestartet“, erzählt Brandner. „Es ging um Wohnraumgestaltung im Alter sowie um Kinästhetik, eine Methode, die unter anderem den optimalen Umgang mit Bewegungseinschränkungen lehrt. Etwa um leichter aus dem Bett aufzustehen oder um bei Stürzen wieder aufzukommen.“ Zu ihren Veranstaltungen lädt sie Expert*innen als Referent*innen ein. „Bei der Wohnraumgestaltung zum Beispiel war das ein Reha-Techniker, der viel Erfahrung mit altersgerechten Adaptierungen hat.“ Ein Vortrag über Demenz und ein Mini-Notfallkurs zu häufigen Unfällen im Alter folgten. Bei der Auswahl der Themen achtet die Community Nurse drauf, was ihrer Zielgruppe konkret nützen könnte.

Im Miteinander Versorgungslücken schließen

Brandner dockte aber auch bei bestehenden Einrichtungen an. „Attnang-Puchheim ist eine große Gemeinde, da gibt es natürlich schon relativ viele gesundheitsfördernde Bildungsangebote“, schildert sie. „Häufig geht es also darum, meine Klient*innen zu Vorhandenem hinzubringen oder Anbieter*innen auf zusätzliche Bedarfe aufmerksam zu machen und das eine oder andere anzuregen.“ Mit der Initiative „Gesunde Gemeinde“ etwa arbeitet Brandner eng zusammen. „Wir haben ein gemeinsames Projekt namens ,65plus‘“, berichtet sie. „In diesem Rahmen finden ebenfalls Veranstaltungen statt, beispielsweise zum Thema Ernährung und Bewegung.“ Vor Kurzem hat sie die Bevölkerung zusammen mit der „Gesunden Gemeinde“ und in Anwesenheit von Bürgermeister und Stadträtin zu einem offenen Dialog über Gesundheit, Pflege und Betreuung im Alter eingeladen, um deren Wünsche, Anregungen und Problemstellungen künftig noch besser berücksichtigen zu können. Darüber hinaus beziehen ihre Vernetzungsaktivitäten die regionalen Ärzt*innen mit ein. „Mit einem Hausarzt habe ich bereits eine sehr gute Kooperation. Bei besonderem Informationsbedarf schickt er seine Patient*innen nun zu mir.“

Auch dass ihr Büro im selben Gebäude wie der mobile Dienst und die örtliche Sozialberatungsstelle untergebracht ist, habe sich als positiv herausgestellt. „Community Nurses arbeiten an der Schnittstelle von Gesundheits- und Sozialbereich“, erläutert sie. „Und anfangs fragten sich die anderen Einrichtungen verständlicherweise, ob sie das nicht ohnedies schon abdeckten.“ So galt es auch hier über das neue Berufsbild der Community Nurse aufzuklären und vor allem die tägliche Arbeit transparent zu machen – was die räumliche Nähe natürlich erleichtert hat. „Als die anderen gemerkt haben, dass eine Community Nurse nicht in ihr Kerngebiet eingreift, sondern dazu da ist, Kapazitätslücken zu schließen und sie damit zu unterstützen, bin ich auf sehr viel Offenheit gestoßen.“ Denn letztlich erhöhe dieses Zusammenwirken die Qualität der Patient*innenversorgung. „Und genau das wollen wir ja alle.“

Mit Rat und Tat dort, wo es gebraucht wird

Dadurch, dass Brandner selbst zwölf Jahre in der mobilen Pflege tätig war, kannte sie deren Struktur von innen heraus und wusste, wo Ergänzungen nicht doppelt gemoppelt, sondern tatsächlich gefragt sind. „Zum Beispiel ist es vor der Entlassung älterer Menschen aus dem Spital ganz entscheidend, dass für ihre Rückkehr alles gut vorbereitet ist. Ihr Zustand kann sich durch den stationären Aufenthalt stark verändert haben und die Angehörigen können damit überfordert sein. Da hilft es, wenn eine Community Nurse mit ihnen alle offenen Fragen durchgeht.“ Wie etwa: Was ist zu Hause zu adaptieren, um die Wohnung behindertengerecht zu gestalten? Braucht es einen Hilfsdienst oder nicht? So ja, welchen? Und wie organisiert man den am besten? „Rechtzeitig die richtigen Schritte zu ergreifen, bevor die Patient*innen entlassen werden, erspart vielen das Pflegeheim.“ Brandner hat „mindestens so viele Angehörigen- wie Patient*innenkontakte“, erzählt sie. „Vor allem Demenz ist ein Riesenthema. Die Betroffenen brauchen nicht immer körperliche Pflege, denn oft sind sie noch mobil und wohnen mit Familienmitgliedern zusammen, doch diese stehen vielfach vor beträchtlichen Herausforderungen.“

Des Weiteren ist Brandner Chancengleichheit und die Inklusion sozialer Randgruppen ein großes Anliegen. „Es gibt in unserem Land durchaus Menschen, die den Weg zur Gesundheitsversorgung nicht so leicht von selbst finden.“ Diese erreiche man nur, wenn man proaktiv auf sie achte. Denn sei es durch kognitive Beeinträchtigungen oder allzu große Isolation: „Mit einer einfachen Beratung und dem Bereitstellen von Kontaktadressen ist es hier nicht immer getan.“ Es sei ein schöner Aspekt ihrer Arbeit, dass sie auch solchen Personen den Zugang zum Gesundheitssystem ermöglichen könne, indem sie sie gezielt begleite.

Gestaltungsmöglichkeiten machen den Beruf attraktiv

An Erfolgserlebnissen mangle es ihr nicht, fügt die 42-Jährige mit einem Lächeln hinzu. Der Community-Nurse-Stützpunkt in Attnang-Puchheim habe sich bisher wunderbar entwickelt. „Das zeigt auch das Feedback von Klient*innen, die mittlerweile sehr vertrauensvoll auf mich zukommen.“ Mit dem zuweilen geäußerten Einwand, dass Community Nursing in Zeiten des Pflegekräftemangels Personal aus dem System abziehe, kann sie nicht viel anfangen. „Das Gegenteil ist der Fall“, ist sie überzeugt. „Ich glaube, dass wir damit nicht nur Versorgungslücken schließen, sondern gerade auch diplomierte Pflegepersonen im Gesundheitsbereich halten, die ihm sonst den Rücken kehren würden.“ Community Nurses seien hochmotivierte Pflegekräfte, denen der Gestaltungsspielraum und die Kreativität ihrer Arbeit Antrieb gebe. „Schließlich haben wir den Beruf gelernt, um etwas für die Menschen zu tun, und wir wollen das auch spüren. In der heutigen prekären Situation des klinischen Umfelds ist das oft nicht mehr möglich. Meiner Erfahrung nach motiviert die Art, wie wir Community Nurses uns mit unserem fachlichen Wissen einbringen können, enorm.“

Brandner selbst ist seit 21 Jahren DGKP. „In den Jahren beim mobilen Dienst, wo man für einzelne Tätigkeiten wie zum Beispiel einen Verbandswechsel zu jemandem hinfährt, hat mir dieses Umfassende gefehlt. Jetzt, als Community Nurse, kann ich die Menschen ganzheitlich begleiten. Wenn mir etwas auffällt, kann ich Eigeninitiativen ergreifen und mich darum kümmern, dass dieser Bedarf gedeckt wird. Das gefällt mir außerordentlich.“ Auch der Prophylaxegedanke sei reizvoll. In unserer alternden Bevölkerung werde es immer wichtiger, dass Menschen in die Selbstverantwortung kämen. Nicht wenige müssten lernen, wie viel sie eigentlich zu ihrer eigenen Gesundheit beitragen und damit auch chronische Leiden beeinflussen können, indem sie Dinge wie gesunde Ernährung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegung oder Gedächtnisübungen in ihr Leben integrieren. „Vielleicht wird man uns Community Nurses in fünf oder zehn Jahren gar nicht mehr wegdenken können“, meint Brandner. „Meine Beobachtungen weisen schon jetzt recht deutlich darauf hin, dass wir das Gesundheitssystem spürbar entlasten.“

Text: Uschi Sorz; Fotos: privat, www.de.depositphotos.com

Christine Brandner, DGKP

Community Nurse in Attnang-Puchheim

Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung zur DGKP in der Gesundheits- und Krankenpflegeschule Vöcklabruck im Jahr 2002 arbeitete Brandner, die auch eine Ausbildung zur Anästhesie- und Intensivpflegerin absolviert hat, mehrere Jahre auf Intensivstationen des Krankenhauses Vöcklabruck und der Landeskliniken Salzburg (SALK). Anschließend war sie zwölf Jahre in der mobilen Pflege tätig. Sie ist zudem zertifizierte Case-Managerin. Seit November 2022 ist sie Community Nurse in Attnang-Puchheim.

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