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Gesundheit
Österreich
06.06.2023

„Die Klimakrise ist ein medizinischer Notfall“

Der Anteil des Gesundheitswesens an nationalen CO2-Fußabdrücken ist hoch. Dementsprechend wächst die Zahl an Klimaschutzinitiativen medizinischer Berufsgruppen wie zum Beispiel der 2019 in Deutschland gegründeten Initiative „Health for Future“. Dieses Aktionsbündnis aus Angehörigen der Gesundheitsberufe hat auch Kooperationspartner*innen in Österreich.

„Die Klimakrise bringt uns um.“ Diese harschen Worte von UNO-Generalsekretär António Guterres fielen vor nicht allzu langer Zeit. Er kommentierte damit die im Oktober 2022 veröffentlichten Ergebnisse des „Lancet Countdown on Health and Climate Chance“. Das ist der Jahresbericht einer internationalen Forschungskooperation, die seit 2017 anhand von 41 Indikatoren die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels und den Status der Einhaltung von Klimazielen durch die Regierungen aufzeigt. 99 Expert*innen aus 51 Institutionen und UN-Organisationen haben die aktuelle Ausgabe auf Basis von Daten aus 103 Ländern erstellt. Ihre „Diagnose“ war auch diesmal nicht überraschend, aber ernst: Unsere Abhängigkeit von Kohle, Gas und Erdöl beschleunige nicht nur den Klimawandel, sondern verschärfe auch die gesundheitlichen Folgen, die mit ihm einhergehen. Insgesamt – so der Bericht – sei die Zahl der hitzebedingten Todesfälle von 2017 bis 2021 im Vergleich zu der Periode zwischen 2000 und 2004 um 68 Prozent gestiegen. Infektionskrankheiten nehmen zu. Immer mehr Extremwetterereignisse kosten Menschenleben.

Gesundheit braucht Klimaschutz

Dass die drastischen gesundheitlichen Konsequenzen der Erderwärmung Angehörige der Gesundheitsberufe zunehmend bewegt, ist naheliegend. Das zeigt sich auch in Initiativen wie „Health for Future“. Unter diesem Namen haben sich in Deutschland Ärzt*innen, Pflegekräfte, Therapeut*innen, Public-Health-Expert*innen, Pharmazeut*innen sowie Auszubildende und Studierende der Gesundheitsberufe im August 2019 zusammengeschlossen, um sich aktiv für ein intaktes Klima und Ökosystem einzusetzen. Den Anstoß dazu gab die „Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit e. V. (KLUG)“. „Wir müssen deutlich machen, dass es sich bei der Klimakrise um einen medizinischen Notfall handelt“, hält das Dossier der Aktionsplattform fest. Und beruft sich auf ein Zitat des Chefredakteurs des renommierten britischen Medizin-Journals „The Lancet“, Richard Horton: „Der Klimawandel ist die größte globale Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts“, habe dieser bereits 2009 konstatiert. „Als Beschäftigte im Gesundheitssektor sehen wir das auch so – und unsere besondere Verantwortung“, schreiben die „Health for Future“-Aktivist*innen.

Doch auch eine Prise Zuversicht treibt die Plattform an. Ebenso wie der eingangs genannte „Lancet Countdown“ es noch nicht für zu spät hält, das Ruder herumzureißen, so sieht auch die „Health for Future“-Bewegung „Behandlungsmöglichkeiten“ für unseren klimawandelgebeutelten Planeten: Durch diese „ergeben sich große Chancen zur Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Gesundheit“. Klimaschutz sei nicht nur Gesundheitsschutz, sondern auch Gesundheitsförderung. „Diese Tatsache wird bislang im Gesundheitssektor und bei politischer Entscheidungsfindung viel zu wenig berücksichtigt.“

Das Spektrum der „Health for Future“-Aktivitäten ist vielfältig und reicht von Demonstrationen über Informationsveranstaltungen bis zu politischem Agendasetting und Abgeordnetengesprächen. „In Abhängigkeit von Gelegenheitsfenstern und unserem jeweiligen Umfeld suchen wir immer wieder nach unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten.“ Die Kernforderungen von „Health for Future“: Die „Behandlung“ der Klimakrise und ihrer Folgen für die Gesundheit müsse eine zentrale Aufgabe des Gesundheitssektors werden und in politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Bei sämtlichen Klimaschutzmaßnahmen seien die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zu berücksichtigen. Außerdem müsse das Thema Klimawandel und Gesundheit verpflichtend in den Curricula der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe verankert werden. Und nicht zuletzt: Deutschland müsse die Ziele des Pariser Abkommens und der 1,5-°C-Begrenzung einhalten und bis 2035 klimaneutral werden. In der Bundesrepublik hat „Health for Future“ etwa 70 Ortsgruppen. „Die dezentrale Organisation und Unabhängigkeit der einzelnen ,Health for Future‘-Gruppen ermöglichen es, als so genannte ,Graswurzelorganisation‘ viele diverse Projekte zu planen und durchzuführen.“ Darüber hinaus gibt es bereits Partnerorganisationen in Belgien, der Schweiz und Österreich. 

Health for Future Austria

„Health for Future Austria“ agiert in enger Kooperation zu den deutschen, schweizerischen und belgischen „Health for Future“-Organisationen, ist ebenfalls seit 2019 aktiv und seit 2022 ein eingetragener Verein. „Wir sind ein Netzwerk von Einzelpersonen aus dem gesamten Gesundheitsbereich und setzen uns für eine nachhaltige Transformation des Gesundheitswesens ein“, erklärt „Health for Future Austria“-Obfrau Johanna Schauer-Berg, Allgemeinmedizinerin mit Zusatzausbildung in Public Health und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Ebenso wie der deutschen Bewegung ist dem Verein die Klimakompetenz aller Gesundheitsberufe ein besonderes Anliegen. Vor Kurzem beteiligte sich „Health vor Future Austria“ bei der Übergabe eines offenen Briefs an Umweltministerin Leonore Gewessler und Gesundheitsminister Johannes Rauch, in dem ein breites Bündnis von Vertreter*innen der Gesundheitsberufe geeignete Rahmenbedingungen forderte, um Klimakompetenzen raschestmöglich in die Curricula aller Aus-, Fort- und Weiterbildungen im Gesundheitsbereich aufzunehmen. „Wir brauchen dringend ein starkes proaktives Bekenntnis vonseiten der Politik zu einer klimakompetenten und klimaresilienten Gesundheitsversorgung“, betonte Schauer-Berg bei dieser Gelegenheit. „Dass der Brief von 30 Organisationen aus diversen Bereichen des Gesundheitssektors unterstützt wird, zeigt die Dringlichkeit und Relevanz der Forderung.“ Initiiert wurde der Brief im September 2022 im Rahmen der interdisziplinären Dialogveranstaltung „Klima wandelt Gesundheit: Kompetenz-Bildung in den Gesundheitsberufen“ an der Universität für Bodenkultur (BOKU). Am 21. April 2023 wurde er den Ministerien übergeben.

Die Unterzeichnenden machen darin unmissverständlich klar, dass es in Österreich an einer flächendeckenden Integration gesundheitsbezogener Klimakompetenzen fehlt. Zwar gebe es durchaus Einzelinitiativen, doch für die Entwicklung von Kompetenzprofilen brauche es strukturelle Grundlagen. Es müsse zudem nicht nur die Expertise der Auszubildenden, sondern auch jene der Lehrenden gestärkt werden. Weiters forderten die Unterzeichnenden den Aufbau transdisziplinärer Netzwerke unterschiedlicher Stakeholder*innen auf regionaler wie nationaler Ebene. „Wir haben keine Zeit, dies länger hinauszuschieben“, so der Tenor.

Die Analogie im Namen mit der „Fridays for Future“-Bewegung teilt „Health for Future“ übrigens mit den ebenfalls zu den Unterzeichnenden zählenden „Doctors for Future“, einer Initiative rund um die Umweltmediziner Hans Moshammer, Hans-Peter Hutter und Peter Wallner, die aus dem österreichweiten Verein „ÄrztInnen für eine gesunde Umwelt“ hervorgegangen ist. Dieser hat sich Umweltthemen schon vor 34 Jahren auf die Fahnen geschrieben. 

Für die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK), eine weitere der vielen am offenen Brief beteiligten Organisationen, nahm Arbeits- und Umweltmediziner Heinz Fuchsig, Umweltreferent der ÖÄK, Stellung. „Ärzt*innen wollen und sollen vorbereitet sein“, betonte er auf der BOKU-Veranstaltung. „So können sie für neue Herausforderungen wie beispielsweise Hitzeerkrankungen gewappnet sein und glaubwürdig die gesundheitlichen Vorteile eines klimafreundlichen Lebensstils vermitteln.“

Das Gebot der Stunde: grüne Zeichen setzen

Fuchsig hat auch den Leitfaden „Medizin und Klimawandel“ koordiniert, den die ÖÄK vor knapp einem Jahr – im Juni 2022 – herausgegeben hat. In dem Buch beschreiben Expert*innen, wie sich das Gesundheitswesen, aber auch jede einzelne Ordination auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten und zu einem geringeren CO2-Fußabdruck beitragen kann. Zudem erörtern sie, wie man Problemen begegnet, die schon jetzt durch die Klimakrise hervorgerufen werden und auf die es adäquat zu reagieren gilt. „Ärzt*innen sind vom Klimawandel mehrfach betroffen: Es droht eine massive Überforderung des Gesundheitswesens in Hitzephasen bei gleichzeitiger Beeinträchtigung der eigenen Leistungsfähigkeit. Neben einer deutlichen Zunahme der Hitzetage ist auch mit häufigeren und stärkeren Extremwetterereignissen mit Hochwässern und Vermurungen zu rechnen – „das Wasser steht uns sprichwörtlich bis zum Hals, was die Dringlichkeit von Klimaschutz betrifft“, unterstrich damals Umweltmediziner Hans-Peter Hutter, der an der Publikation mitgewirkt hat, bei der Buchpräsentation. Und Fuchsig ergänzte: „Wer sich mit Umweltveränderungen befasst, dem kann es die Kehle zuschnüren.“ So seien etwa durch den Klimawandel ausgelöste Ängste und prätraumatische Stress-Symptome bei Jugendlichen heutzutage häufig. „Das zeigt, wie ernst die Lage ist.“ Fuchsig wies aber auch auf Erfolge hin: „Die Menschheit hat in der Prävention schon viel geschafft: von Asbestbann über den dem FCKW-Verbot folgenden Rückgang des Ozonlochs bis hin zur Befreiung der europäischen Luft von Blei und Schwefeldioxid. Das gibt uns Mut und Hoffnung. Resignation heilt nicht, sondern Hoffnung belebt.“

Auch für die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ist die Rolle der Gesundheitseinrichtungen für den Klimaschutz ein großes Thema. Drei neue Kompetenzzentren der Agenda Gesundheitsförderung des Gesundheitsministeriums sind organisatorisch bei ihr angesiedelt, eines davon ist das Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit. Dessen Aufgabe ist die Entwicklung entsprechender Strategien und Aktionspläne. Dazu bündelt es „interdiziplinäre Expertise aus Wissenschaft, Policy und Praxis an den Schnittstellen von Klimaschutz, Klimawandelanpassung, Gesundheitsförderung und Gesundheitswesen“, so die Selbstdarstellung. Vielversprechend ist zum Beispiel dasPilotprojekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“, das bereits seit Sommer 2022 mehr als 120 Gesundheitseinrichtungen in Österreich dabei unterstützt, sich zu klimafreundlichen Einrichtungen zu entwickeln. Das kostenlose Beratungsangebot, das sich an Spitäler, Arztpraxen, Primärversorgungseinheiten, Apotheken, Alters- und Pflegeheime richtet, wurde aufgrund des großen Interesses verstärkt. Seit April 2023 haben jetzt über 200 Gesundheitseinrichtungen die Möglichkeit, sich kostenlos von Expert*innen bei der Entwicklung und Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen beraten zu lassen.

Angesichts dessen, dass Spitäler rund um die Uhr auf Hochtouren laufen und dabei Unmengen an Ressourcen und Energie verschlingen, sind hier natürlich Energieeffizienz, Abfallreduktion und Recycling unabdingbare Konzepte im Transfer zu energetisch sanierten, so genannten Green Hospitals. Aber auch die Rolle von Narkosegasen als hochpotente Treibhausgase sind ein Thema der Stunde. Gerade hat die ÖGARI (Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin) eine Arbeitsgruppe installiert, die die Situation in Anästhesiebereichen und Intensivstationen ökologisch verbessern will. Durch sinnvolle Auswahl und die neuartige Möglichkeit, die Narkosegase mittels Aktivkohlefilter zu adsorbieren und zu recyceln, könne deren Entweichen in die Atmosphäre deutlich reduziert werden, so die ÖGARI in einer Aussendung vom Februar dieses Jahres. 

Bemühungen, in die richtige Richtung zu gehen, lassen sich mittlerweile bei zahlreichen Institutionen beobachten. Der Handlungsbedarf ist jedoch nach wie vor groß: Immerhin liegt der Anteil des österreichischen Gesundheitssektors am nationalen CO2-Fußabdruck bei sieben Prozent. Einer Klimafonds-Studie aus dem Jahr 2019 zufolge ist das Gesundheitssystem sogar der größte CO2-Emittent unter allen Dienstleistungssektoren: Krankenhäuser verursachen hierzulande mit 32 Prozent fast ein Drittel des „Health-Footprints“, 18 Prozent gehen aufs Konto des ambulanten Versorgungsbereichs, weitere 22 Prozent entfallen auf ambulant abgegebene medizinische Produkte und Arzneimittel, so die Studie. Insgesamt sei dieser Anteil aber noch wesentlich höher, da ja in Spitälern und sonstigen Gesundheitseinrichtungen ebenfalls Arzneimittel und medizinische Produkte konsumiert würden. Getrennt erhoben wurde der Energiekonsum großer Gesundheitsanbieter und das private Verkehrsaufkommen von Personal, Patient*innen und Besucher*innen. Beide Bereiche verursachen jährlich je rund 800 Kilotonnen CO2-Emissionen.

„In Bezug auf Klimaresilienz ist Österreich leider kein Vorreiter“, bedauert „Health for Future Austria“-Obfrau Johanna Schauer-Berg. „Auf internationaler Ebene befassen sich beispielsweise 63 Nationen in der Alliance for Transformative Action on Climate and Health (ATACH) der WHO proaktiv mit der Transformation ihrer Gesundheitssysteme – Österreich ist nicht dabei.“ Grundsätzlich seien Umweltaspekte zwar im österreichischen Rahmengesundheitsziel 4 abgebildet, doch der Klimawandel sowie weitere „Planetary Bounderies“ seien hier nicht explizit berücksichtigt. „Health for Future Austria“ wünscht sich daher verbindliche Vorgaben für den Gesundheitssektor vonseiten der Politik. „Unter anderem dazu, wie wir mit den nicht mehr vermeidbaren Gesundheitsfolgen des Klimawandels umgehen.“

Text: Uschi Sorz; Foto: Max Berg

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