Demenzkompetenz im Spital
Ein Krankenhausaufenthalt ist für Menschen mit Demenz oft eine beängstigende Erfahrung. INGO hat bei Gertrude Adlmanseder vom Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried nachgefragt, wie durchdachte Konzepte die Versorgung der Betroffenen im Spital nachhaltig verbessern können.
In Österreich leben derzeit etwa 150.000 Menschen mit einer Form von Demenz. „Eine Zahl, die aufgrund der demografischen Entwicklung und steigenden Lebenserwartung bis 2050 auf etwa 230.000 ansteigen könnte“, erklärt Gertrude Adlmanseder, Bereichsleitung der Neurologie, und den Ambulanzen für Interne, Kardiologie, Neurologie und Dialyse am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried. Müssen Demenzpatient*innen wegen anderer Erkrankungen ins Spital, kann ihr Aufenthalt zu einer Krisensituation mit negativen Auswirkungen auf die weiteren Lebensperspektiven werden. „Das gilt besonders für ältere Patient*innen“, fügt die Expertin hinzu.
Da die Abläufe im Spital oft nicht ausreichend auf die besonderen Bedürfnisse von Demenzpatient*innen abgestimmt sind, entwickelte das Gesundheitsministerium bereits 2017 einen Leitfaden zur Stärkung der Demenzkompetenz im Krankenhaus. In der Österreichischen Demenzstrategie „Gut leben mit Demenz“ wird empfohlen, die Strukturen, Prozesse, Abläufe und Umgebungsfaktoren in Krankenanstalten an die Bedürfnisse von Patient*innen mit Demenz anzupassen.
Um auf die steigende Anzahl älterer und demenzkranker Menschen sowie die zunehmenden Anforderungen in Kliniken zu reagieren, veröffentlichte das BMSGPK kürzlich eine aktualisierte Version der Orientierungshilfe, die eine praxisnahe Anleitung für den Umgang mit Demenzerkrankten beinhaltet und Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungsqualität beschreibt. In der zweiten Auflage wurde die Expertensichtweise um die Perspektive von Menschen, die selbst mit einer Demenz leben, ergänzt und zusätzlich um aktuelle Erkenntnisse erweitert. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Schaffung einer sicheren und unterstützenden Umgebung sowie auf Schulungen, die das Pflegepersonal auf den Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen vorbereiten. „Wir haben uns aktiv an der Aktualisierung beteiligt, da wir seit vielen Jahren intensiv an der Sensibilisierung aller Mitarbeitenden für das Thema Demenz arbeiten und die Betreuung vor Ort kontinuierlich weiter verbessern möchten“, erklärt Adlmanseder.
Fort- und Weiterqualifizierungsmaßnahmen
Das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried arbeitet eng mit der MAS-Alzheimerhilfe zusammen, einer österreichweiten Anlaufstelle für Fragen rund um Demenz und Alzheimer. „Diese Kooperation ermöglicht es uns, auf fundiertes Fachwissen und bewährte Methoden zurückzugreifen, um die Qualität der Versorgung kontinuierlich zu verbessern“, so Adlmanseder. Das Ausbildungsmodul der MAS-Aktivtrainer*innen deckt verschiedene Themen rund um Demenz ab, darunter Basiswissen, gelingende Kommunikation, stadiengerechte Aktivierung und Beschäftigung und der Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen sowie praxisnahe Fallbeispiele. „Mittlerweile ist es uns gelungen, zwei bis sechs MAS-Aktivtrainer*innen auf allen Stationen einzusetzen, die das Personal vor Ort bei der Betreuung von Demenzpatient*innen unterstützen.“ Zusätzlich biete ein jährlich stattfindendes Fortbildungsprogramm zum Thema „Demenz im Krankenhaus“ eine weitere Qualifizierung an, die sich an alle Berufsgruppen im Krankenhaus sowie an Bereichshelfer und ehrenamtliche Mitarbeitende richte, so Adlmanseder. „Durch den fachlichen Austausch können wir über die Grenzen unserer eigenen Disziplin hinausdenken und unser Wissen ständig erweitern. Dank dieser Fortbildungsmaßnahmen hat sich der Umgang mit Demenzpatient*innen in den letzten Jahren spürbar für alle Beteiligten verbessert.“
Wenn bei einer Patientin oder einem Patienten kognitive Beeinträchtigungen oder Demenz festgestellt werden, ist es entscheidend, dass alle Mitarbeitenden, die während des Klinikaufenthalts mit der Person in Kontakt kommen, über die Auswirkungen der Diagnose Bescheid wissen. „Um Verhaltensauffälligkeiten und akute Verwirrtheitszustände zu reduzieren, wird eine Demenz oder Delirgefährdung in der Patient*innenakte angezeigt. Zur weiteren Unterstützung nützen wir eine KI-basierte Anwendung, die das Delir-Risiko auf Grundlage von bestehenden Daten wie Diagnosen, Medikationen und Pflegeplänen bewertet“, erläutert Adlmanseder. Das sogenannte EKID arbeite mit einem Ampelschema: Steht die Ampel auf Gelb, werde eine Fachärztin oder ein Facharzt der Akutgeriatrie oder Neurologie hinzugezogen. „Bei nichtmedikamentösen Therapien integrieren wir geistige und körperliche Angebote in den Pflegealltag und führen individuelle Beschäftigung und Aktivierung bereits bei der Grundpflege durch. Wir gehen auf die Anforderungen der betroffenen Person ein, leisten Gesellschaft, geben Anregungen und bieten emotionale Unterstützung. Zusätzlich verfügen wir über räumliche Strukturen, welche die Orientierung, Sicherheit, Aktivität, soziale Teilhabe und menschliche Kontakte fördern.“ Vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe und medizinischen Fächer sei wichtig.
Über Demenz reden
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Betreuung ist die Unterstützung durch Angehörige. „Es hilft, wenn sie die Demenz-Betroffenen während des Aufenthalts begleiten und deren spezifische Gewohnheiten mit dem Pflegepersonal absprechen“, sagt Adlmanseder. Sie seien verlässliche Bezugspersonen in der fremden Umgebung und unterstützten die Betroffenen bei der Bewältigung von Krisen. „Das Wichtigste ist jedoch, dass wir über das Thema Demenz mehr in der Öffentlichkeit sprechen“, konstatiert die Expertin. „Angesichts der demographischen Entwicklung benötigen die Menschen mehr Informationen über die Krankheit und den Umgang mit den Erkrankten, um deren Würde zu wahren und ihre Eigenständigkeit so weit wie möglich aufrecht zu erhalten.“ Vor allem für Angehörige ist es wichtig, frühzeitig Unterstützung in Anspruch zu nehmen, bevor die Belastung zu groß wird. Denn oftmals sind es kleine Details, die darüber entscheiden, ob der kommunikative Austausch mit einem an Demenz erkrankten Menschen freundlich, gelassen und vor allem verständlich erfolgt und der Alltag sich dadurch ein wenig leichter gestalten lässt.
Text: Rosi Dorudi
Foto: KH BHS Ried/Foto Hirnschrodt e.U.
Gertrude Adlmanseder, MSc
Bereichsleitung für Neurologie, und der Ambulanzen Neurologie, Interne, Kardiologie und Dialyse am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried
Gertrude Adlmanseder ist DGKP und spezialisiert sich seit 1997 zusätzlich im Pflegemanagement. Von 2015 bis 2017 absolvierte sie die Weiterbildung für basales und mittleres Pflegemanagement gemäß § 64 GuKG und von 2017 bis 2018 den Universitätslehrgang Management im Gesundheitswesen, den sie mit einem Master abschloss. Sie ist Bereichsleiterin im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried. Unter ihrer Leitung wurde dort ab 2018 ein Projekt zur Verbesserung des Umgangs mit an Demenz erkrankten Menschen umgesetzt.