INnovation
Gesundheit
Österreich
09.03.2024

Freiheit, Flexibilität und Erfüllung

Sich als diplomierte Pflegekraft selbstständig zu machen biete eine Reihe attraktiver Perspektiven, sagt DGKP und Case- und Caremanagerin Alexandra Welzenberger. Mit der Firma WECARE Tirol hat sie zusammen mit ihrem Kollegen, Community Nurse Christoph Kranebitter, ein innovatives und bislang einzigartiges Angebot für sozialpflegerisches Alltags- und Entlassungsmanagement kreiert, das dazu beitragen möchte, Versorgungslücken zu schließen. Dabei kooperieren die beiden mit bestehenden Einrichtungen, schöpfen aber auch aus einem großen Pool selbstständig tätiger Pflege-professionist*innen sowie anderen Dienstleister*innen.

Spricht man mit Menschen, die den Pflegeberuf ergriffen haben, so beschreiben ihn viele als Herzensangelegenheit. „Für mich ist er auch eine Möglichkeit, Menschen auf Augenhöhe in ihrer Lebenswelt zu begleiten“, sagt Alexandra Welzenberger. „Es wird oft über die prekäre Situation des Gesundheitssystems geklagt, und das natürlich nicht ohne Grund. Doch trotz der vorhandenen strukturellen Probleme ist Pflege in erster Linie ein zutiefst erfüllender und wunderschöner Beruf.“ Darüber hinaus lasse er sich auf verschiedenste Weise ausüben, das müsse nicht notwendigerweise im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses sein. „Pflegekräfte arbeiten zunehmend auch selbstständig.“ Das heißt, sie bieten ihre Leistungen auf Honorarbasis an und versteuern sie selbst. Die meisten in Teilzeit neben der festen Arbeitsstelle, so die Tirolerin.

Welzenberger ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP) und hat viele Jahre an der UMIT Tirol und an der FH Gesundheit Casemanagement, Pflegeberatung und wissenschaftliches Arbeiten gelehrt. Dass sie vor Kurzem zu hundert Prozent den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt hat, liegt daran, dass die Firma WECARE Tirol(https://www.wecare.tirol), die sie im September 2023 zusammen mit ihrem Kollegen Christoph Kranebitter gegründet hat, von Beginn an wunderbar läuft. „Es fühlt sich für mich nicht an wie ein Wagnis“, betont sie. „Wir machen tagtäglich die Erfahrung, dass unsere Leistungen dringend gebraucht werden.“

Klient*innenorientierte Allround-Versorgung mit DGKP-Background

Die tirolweit angebotenen Leistungen von WECARE Tirol sind vielfältig und ranken sich um das Thema sozialpflegerisches Alltags- und Entlassungsmanagement. „Wir sehen uns an, was eine Person braucht, und sorgen dafür, dass sie genau das bekommt.“ Dies beginne bei der Unterstützung in Alltagsdingen wie Haushaltsführung oder Einkäufen, könne aber auch eine umfassende Beratung zu Pflegeangeboten, Finanzierungsmöglichkeiten und Qualitätssicherung sein. „Wir machen außerdem viel klassisches Casemanagement, wo es um die Koordination von Pflegedienstleistungen geht“, erklärt Welzenberger. „Dabei kooperieren wir mit öffentlichen Dienstleister*innen aus den Sprengeln, versuchen aber auch herauszufinden, was wir an informeller Hilfe organisieren können.“ Etwa durch Nachbar*innen, Freund*innen oder Familienmitglieder. So sei es durchaus eine Option, dass beispielsweise eine Nachbarin gegen eine kleine Vergütung mittels Dienstleistungsscheck für eine rekonvaleszente Person mitkoche. „Wir gehen grundsätzlich ressourcenoptimiert vor“, erklärt Welzenberger. „Das heißt, wir klären als Erstes, welche Aufgaben Menschen im nahen Umfeld der zu betreuenden Person übernehmen können und was vorhandene Institutionen abdecken können. Wenn sich da niemand findet oder wenn es Wartezeiten gibt, greifen wir auf unser Netzwerk aus rund 120 selbstständigen Dienstleister*innen zurück und vermitteln die passende Hilfe.“ Abgesehen von professionellen Pflegekräften aller Ausbildungsstufen und mit verschiedensten Spezialisierungen fänden sich hier auch Chauffeur*innen, Tiersitter*innen oder Bestattungsunternehmen. „Da haben wir uns bewusst sehr breit aufgestellt.“

Vielfach benötigt: ergänzendes Entlassungsmanagement

Einen wesentlichen Teil des Angebotsspektrums von WECARE Tirol macht Entlassungsmanagement aus. „Heutzutage sind Spitalsaufenthalte möglichst kurz angesetzt und es ist nicht realistisch, dass die Entlassungsmanager*innen der Häuser Hunderte Entlassungen pro Tag systematisch und individualisiert betreuen können. Sie treten oft erst in Aktion, wenn die Station sie beauftragt hat, sprich wenn ein Bedarf aufgefallen ist.“ Davon könne man nicht unbedingt ausgehen, zumal Patient*innen es häufig gar nicht von sich aus ansprechen, wenn sie zu Hause niemanden haben, der oder die sich um sie kümmert. „Für diese Klient*innen bereiten wir ihr Zuhause vor, regeln ihre Termine und ihre Medikation, informieren die Hausärzt*innen über die nötigen Anpassungen und vermitteln gegebenenfalls die weitere professionelle Betreuung.“ Wobei es Christoph Kranebitter wichtig ist zu erwähnen, dass sich WECARE Tirol nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zum bestehenden System sehe: „Alle im Gesundheitswesen geben ihr Bestes und leisten Großartiges, nur sind die Ressourcen des Systems eben begrenzt.“ 

Wie seine Kollegin ist Kranebitter DGKP und bei der Gemeinde Achenkirch zu 50 Prozent in leitender Funktion als Community Nurse angestellt. Eine perfekte Kombination für ihn, denn auch dieser Job bietet ihm viel Raum für Eigeninitiative. „Es liegt mir am Herzen, die Menschen individuell und bedarfsgerecht zu versorgen, sodass sie so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben können.“ Auf die Idee, WECARE Tirol zu gründen, kamen die beiden, weil sie hier ihren gesamten professionellen Background als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen einbringen können. Zugleich tragen sie dazu bei, Versorgungslücken zu schließen, und profitieren – ganz oder zum Teil – von den Vorzügen der Selbstständigkeit. 

Freiheit, Flexibilität, hundertprozentige Erfüllung des Berufsbilds

Die Attraktivitätsfaktoren einer selbstständigen Tätigkeit für Pflegende zeigen sich Welzenberger auch in den Gesprächen mit den Professionist*innen aus ihrem großen Netzwerk. „Einerseits schätzen wir alle die Freiheit und Flexibilität“, sagt sie. „Selbstständige können ihre Zeiteinteilung selbst bestimmen, aber auch eigene Ideen kreativ einbringen. In unserem Pool haben wir zum Beispiel eine Pflegeassistentin, die während ihres Berufslebens auch zeitweise eine Integrationsküche geleitet hat. Daraus hat sie nun ein Angebot entworfen, das die Pflegetätigkeit mit dem Kochen nach der traditionellen chinesischen Medizin für die Klient*innen verbindet.“ Das andere große Plus sei die Befriedigung, sich in seiner Arbeitszeit der betreuten Person uneingeschränkt widmen zu können. „Sich mit seiner gesamten fachlichen Kompetenz und Energie für Hilfsbedürftige einzusetzen ist ja die intrinsische Motivation der Pflege. In Spitälern mit Kapazitätsengpässen kommt sie nur leider oft zu kurz.“ 

Egal ob in Voll- oder Teilzeit, Welzenberger und Kranebitter sehen die Selbstständigkeit als Win-win-Situation für alle. „Die Patient*innen haben ein überaus motiviertes professionelles Gegenüber mit genügend Zeit für sie, die Pflegenden haben die vorhin genannten Vorteile und die Institutionen haben Professionist*innen in Reichweite, die ihnen bei Bedarf Aufgaben abnehmen können. „Sprengel und mobile Dienste mit langen Wartelisten verweisen gerne auf uns. Auch mit Hausärzt*innen arbeiten wir gut zusammen.“ Den Rest besorge Mundpropaganda. 

Unterstützung und Information von vielen Seiten

Besonders für den gehobenen Dienst sei der Weg in die Selbstständigkeit relativ unkompliziert, sagt Welzenberger. „Im Gegensatz zu Pflegeassistent*innen, Pflegefachassistent*innen und Heimhilfen, die einen Gewerbeschein beantragen müssen, können DGKPs von heute auf morgen als so genannte neue Selbstständige losstarten.“ Über Voraussetzungen wie die Meldung bei der zuständigen Registrierungsbehörde, der Sozialversicherung oder dem Finanzamt könne man sich leicht schlau machen. Welzenberger empfiehlt beispielsweise eine Mitgliedschaft beim Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV). „Dort ist nicht nur eine Rechtsschutzversicherung inkludiert, sondern es gibt auch immer wieder gute Veranstaltungen zum Thema.“ Sie selbst fungiert für den ÖGKV im Zuge der Fortbildungsreihe SELBSTundbeSTÄNDIG des Öfteren als Referentin. Auch in der Reihe „PFLEGE diskursiv“ des freien Tiroler Radios „Freirad“ hat sie bereits über Selbstständigkeit in der Pflege gesprochen (https://cba.media/630869). „Zwar besteht für neue Selbstständige keine Verpflichtung zur Mitgliedschaft bei einer Standesvertretung, aber es lohnt sich, auf den Webseiten der Wirtschaftskammer oder der Arbeiterkammer nach Informationen über die notwendigen ersten Schritte zu suchen“, gibt sie einen weiteren Tipp. „Auch hier ist im Grunde alles zusammengefasst, was man diesbezüglich wissen muss.“

Die Forderung: mehr Förderung

Einziger Wermutstropfen aus Sicht der Gründer*innen von WECARE Tirol: „Obwohl unsere Klient*innen ja unfreiwillig mit – teils sogar langen – Wartezeiten auf die staatlich subventionierten Versorgungsschienen konfrontiert sind und sie durch unser Service praktisch dieselben qualitativ hochwertigen Fachdienstleistungen bekommen wie beispielsweise von einem mobilen Dienst, entstehen ihnen oft hohe Kosten und ihr Geld wird nicht rückerstattet“, berichtet Welzenberger. „Das empfinde ich als ungerecht.“ Eine Abrechnungsmöglichkeit der freiberuflichen Leistungen mit den Kassen oder auch Kooperationsverträge mit Gemeinden seien dringend vonnöten. „Man sollte anerkennen, dass wir eine Lücke füllen, und unsere Leistungen sollten allen zugänglich sein, die es brauchen. Nicht nur jenen, die es sich leisten können.“ Eine 2024 in Kraft tretende Gesetzesnovelle in Deutschland, dergemäß die Arbeit freiberuflicher Pflegekräfte mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann, stimmt Welzenberger aber zuversichtlich. „Wir hoffen, dass Österreich da nachzieht.“

Text: Uschi Sorz; Fotos: Markus Vogelsberger

Alexandra Welzenberger, MA

DGKP

Welzenberger hat 1997 ihre Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP) am Ausbildungszentrum West für Gesundheitsberufe in Innsbruck, Tirol, abgeschlossen. Im Laufe ihrer Tätigkeit als DGKP war sie u. a. am LKH Innsbruck, im Wohnheim Reichenau, beim mobilen Hilfsdienst Innsbruck, am BKH Hall sowie für den aufsuchenden Dienst des Tyrolean Medical Service und des psychosozialen Pflegediensts Tirol tätig. An der Universität Innsbruck hat sie erfolgreich ein Bachelor- und ein Masterstudium in Europäischer Ethnologie absolviert. Von 2014 bis 2016 machte sie am bifeb in Wien die Ausbildung zur Casemanagerin im Sozial- und Gesundheitswesen und 2018 ebendort den Diplomlehrgang Casemanagement in Sozialberufen, Bildungsberatung und Erwachsenenbildung. Seit 2023 ist sie im Gremium des ÖGKV Tirol. Bis 2024 war sie Schriftführerin der Plattform Mobile Pflege Tirol. Sie ist außerdem freie Vortragende, Digi-Ageing-Trainerin, und Podcasterin und Radiomacherin für das Tiroler freie Radio „Freirad Tirol“. Bis 29. Februar war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin an der UMIT Tirol. Seit 1. März ist sie hauptberuflich Co-Betreiberin der Firma WECARE Tirol (gegründet am 1. September 2023). 

Christoph Kranebitter,

DGKP

Kranebitter hat seine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP) an der Gesundheits- und Krankenpflegeschule Schwaz absolviert. Er arbeitete mehr als sieben Jahre im Gesundheits- und Sozialsprengel Mayrhofen in der mobilen Pflege. Seit 2022 ist er ist ausgebildeter Pflegegeldgutachter. 2023 hat er am AZW Innsbruck die Ausbildung zum Case- und Caremanager erfolgreich abgeschlossen. Seit August 2022 ist er in Teilzeit in leitender Funktion als Community Nurse bei der Gemeinde Achenkirch angestellt. Darüber hinaus ist er in der BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft) Community Nursing des ÖGKV für Finanzen/Recht zuständig. Seit September 2023 ist er zudem Co-Betreiber der Firma WECARE Tirol.

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